„Es ist noch keiner darauf gekommen“

Benzol sei ein Allerweltsgift, sagt der Toxikologe Hermann Kruse. Der Grenzwert sei so festgelegt, dass ein Krebsfall auf eine Million Einwohner als tolerabel gilt. Mögliche Ersatzstoffe würden von der Industrie bislang verhindert

taz: Herr Kruse: Trinken Sie noch bedenkenlos ein Apfelfruchtsaftgetränk?

Hermann Kruse: Allerdings, noch sehe ich kein Benzolproblem in Fruchtsäften.

Die Benzolspuren, die jetzt nachgewiesen wurden, sind nicht ungesund?

Nun, Benzol ist einer der gefährlichsten Stoffe, die wir kennen. Er erzeugt eindeutig Leukämie. Und das Besondere: Benzol wirkt immer, es gibt keine unbedenklichen Dosen. Benzol gehört also weder ins Getränk noch ins Essen.

Aber?

Sie müssen das in Relation sehen. Die Menschen atmen jeden Tag eine viel größere Menge Benzol ein, als sie mit dem Fruchtsaft trinken.

Ist Benzol deshalb auch in Maßen im Trinkwasser erlaubt?

Der Grenzwert für das Trinkwasser liegt bei einem Mikrogramm Benzol pro Liter. Er ist so festgelegt, dass wir damit einen Krebsfall pro eine Million Bürger in Kauf nehmen. Das halten Toxikologen – weil Benzol ein Allerweltsgift ist – für tolerabel. Wegen Benzol in der Luft von Innenräumen erkranken jedes Jahr rund 70 Menschen pro einer Million Bürger im Verlauf ihres Lebens an Krebs.

Warum wird Benzol nicht ersetzt?

Das ist das Hauptproblem. Noch immer darf Sprit Benzol enthalten. Dabei gibt es Ersatzstoffe. Doch die Industrie droht, das Tanken teurer zu machen, wenn sie das Gift ersetzen soll. Sie kommt damit durch.

Die Entdeckung von Benzol im Saft ist neu, die Belastung aber sicher nicht. Auf wie viele Gift müssen wir uns noch einstellen?

Die Laboratorien werden immer besser, Analytiker können immer geringere Konzentrationen erkennen. Anders als früher werden heute in einem Test auch gleich mehrere Substanzen untersucht.

Das hört sich einfach an, warum hat es so lange gedauert, bis Getränke auf Benzol untersucht wurden?

Wird ein neuer Stoff entdeckt, brauchen Wissenschaftler gut ein halbes Jahr, um geeignete Analysemethoden auszutüfteln. Allerdings sind zuverlässige Messungen von Benzol schon seit mehr als 20 Jahren bekannt. Aber es ist keiner darauf gekommen, den Stoff in jedem Orangengetränk zu suchen.

Zu teuer?

Nein, wer Benzol in einer Flüssigkeit finden will, muss nur knapp 200 Euro pro Test zahlen.

Müssen wir dem Nullrisiko Adieu sagen?

Keine Angst, es gibt noch genug gesunde Nahrung. Achten Sie einfach auf möglichst natürliche Lebensmittel!

INTERVIEW: HANNA GERSMANN