Klötzchen aus dem Schreibbaukasten

In den letzten Jahren stieg der Historiker und Essayist Paul Nolte zum Star unter den politischen Publizisten auf. Gebannt warteten vor allem seine konservativen Fans auf das Buch „Riskante Moderne“. Doch: Enttäuscht stellen sie fest, dass er nichts Neues zu sagen hat. Und überziehen ihn mit Häme

Paul Nolte sagt selbst zu Recht, dass sein Werk polemisch ist – denn er kommt meist ohne Argumente aus

von ULRIKE HERRMANN

Die deutschen Konservativen haben einen ihrer Jungstars verloren: den Historiker Paul Nolte. Geradezu maßlos sind sie von ihm und seinem neuen Buch enttäuscht. Das vergelten sie nun mit Häme. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) titelte großflächig: „Paul Nolte riskiert keinen Gedanken, schreibt aber trotzdem ein Buch.“ Die FAZ spottete über die „nationalpädagogische Gesamtsorge“. Und der Spiegel merkte an, dass „Nolte recycelt. Er schreibt in zu vielen Passagen […] ungeniert bei sich selbst ab.“

Der Sturz hätte nicht tiefer sein können – und Nolte hat ihn offenbar nicht kommen sehen. Erschien sein letztes Buch „Generation Reform“ noch als Taschenbuch, so ist sein neues Werk „Riskante Moderne“ als gebundene Ausgabe herausgekommen. Vor allem aber prangt Nolte vom Scheitel bis zur Hüfte auf dem Einband. Diese eitle Pose nehmen die konservativen Rezensenten besonders übel.

Es ist Nolte nicht wirklich zu verdenken, dass er sich für einen deutschen Großdenker hält. Schließlich wurde ihm diese Rolle nachdrücklich angetragen. Das Lob für sein Buch „Generation Reform“ kannte vor zwei Jahren kaum Grenzen. SZ-Autorin Evelyn Roll empfahl es zur Lektüre; von Bundespräsident Horst Köhler hieß es, dass er ständig darin blättern würde. In der Zeit sparte Tobias Dürr nicht mit Superlativen. Der heutige Mitdenker von SPD-Chef Platzeck steigerte sich bis zu der Hymne: „Paul Nolte hat die Krise der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft so scharfsinnig, so eindringlich und mit so viel historischer Tiefendimension ausgeleuchtet wie vor und neben ihm kaum ein anderer.“ Dieser Satz war schon immer ein wenig peinlich, führte er doch vor, wie Zitierkartelle funktionieren: In seinem Nachwort zur „Generation Reform“ hatte Nolte auch Tobias Dürr gedankt.

Es schien damals, als würde der 42-jährige Nolte medial den Zeithistoriker Arnulf Baring beerben, der in den Talkshows dauerpräsent ist, um die angebliche Gegenwartskrise der Nation zu beklagen. Baring selbst schien diese Nachfolge nicht abzulehnen. In der FAZ dekretierte er: „Paul Nolte gehört zu den besten Köpfen seiner Generation.“

Doch nun dieser Schock für die Nolte-Fans: Ihr Star hat nichts Neues zu sagen. Zumindest Baring hat es schon vor zwei Jahren geahnt. Er konstatierte eine „gewisse Vagheit und Vieldeutig der Aussagen“, um dann zu trösten: „Vermutlich haben wir es bei Noltes jetzigen Texten mit Vorstudien für eine grundlegende Analyse der gegenwärtigen deutschen Irrgärten zu tun.“

Aus der Vorstudie wurde jedoch keine Studie. Stattdessen ist die „Riskante Moderne“ eine Essaysammlung, die wie eine Monografie aussehen soll. Nur 6 der 19 Kapitel sind neu, der Rest ist längst anderweitig erschienen. Leider war Nolte zu bequem, um Doppelungen zu entfernen. Zitate und Gedanken wiederholen sich. Diese Fabrikschreibweise störte schon bei der „Generation Reform“, die ebenfalls aus Essays zusammengestückelt war. Bereits damals zeigte sich, dass Nolte mit einem Schreibbaukasten hantiert.

Die Zettelwirtschaft wird mit dem neuen Buch sogar noch gesteigert. Jetzt doppeln sich nicht nur einzelne Beobachtungen – die „Riskante Moderne“ ist als ganzes ein Plagiat. Nolte hat seine „Generation Reform“ variiert. In einer Radiosendung gefragt, was an seinem neuen Buch neu sei, schwieg Nolte ratlos und sagte schließlich zögernd, es sei „polemisch zugespitzt“.

Der Stil kann damit nicht gemeint sein, er ist eher dröge. Trotzdem hat Nolte Recht, dass sein Werk polemisch ist – denn er kommt meist ohne Argumente aus. Das Buch besteht fast nur aus Behauptungen; die Belege hingegen fehlen oft oder sind etwas seltsam. So konstatiert Nolte, dass sich die Deutschen dem „globalen Kapitalismus“ von „vornherein verweigern“ würden. Das ist eine erstaunliche Beschreibung für den Exportweltmeister.

Allerdings ist es nicht neu, dass Nolte kein Verhältnis zur Empirie hat. Schon immer hat er sich selbst und sein Milieu zum Maßstab erhoben: So hat er zur „Generation Reform“ seine eigene ernannt; der Jahrgang 1963 soll Deutschland in eine neue bürgerliche Ära führen. In seiner Habilitation „Die Ordnung der deutschen Gesellschaft“ studierte Nolte zwar nur die Schriften bedeutender Soziologen, schloss von dort aber auf die Ansichten aller Schichten.

Wie konnte Nolte zu einem der angeblich „wichtigsten Vordenker“ (Klappentext) avancieren? Er war der erste Konservative, der gesehen hat, dass Deutschland wieder eine Klassengesellschaft ist. Das sagen sonst nur Linke jenseits der SPD. Anders als die Linken hat er diese Einsicht jedoch mit einem patriarchalen Gestus gekoppelt: Die Unterschichten sollen zur Vollwertkost und zum Lesen erzogen werden, der Gameboy in den Abfall wandern. Das ist eine neue Form des Klassenkampfs – er wird nun von den Oberschichten definiert. Diese Strategie ist inzwischen von den Eliten übernommen worden. Nolte wird nicht mehr benötigt, wie er jetzt zu spüren bekommt.

Paul Nolte: „Riskante Moderne. Die Deutschen und der neue Kapitalismus“. Verlag C. H. Beck, München 2006,312 Seiten, 19,90 €