20 Rüsselsheimer im Einbürgerungstest

Hessen will einen Wissens- und Wertetest für Einbürgerungswillige deutschlandweit etablieren. Die taz hat schon mal 20 Deutsche geprüft. Die Top-Antworten: 1. Alle Gewalt geht von der Polizei aus. 2. Mannheim ist Hauptstadt von Rheinland-Pfalz

AUS RÜSSELSHEIM KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Fußgängerzone Opelstadt Rüsselsheim gegen 10 Uhr am Mittwoch. Am Vortag hat Hessens CDU-Regierung ihren künftigen Test für Einwanderer vorgestellt, die Union will ihn vielleicht sogar bundesweit zur Geltung bringen. Zeit, den Test zu testen.

10 Uhr, das ist auch die Zeit nach dem Frühstück, in der das Gehirn des gesunden Menschen am Limit arbeitet und die in klinischen Testreihen ermittelte Leistungskurve des Homo sapiens angeblich steil nach oben schießt. Und tatsächlich können alle Probanden in der Innenstadt eine Frage aus dem neuen hessischen Einbürgerungsleitfaden „Wissen und Werte in Deutschland und Europa“ prompt beantworten: Die nach dem „Wunder von Bern“ nämlich. Im Fußball-WM-Jahr und nach dem Erfolg des gleichnamigen Films vielleicht kein ganz so großes Wunder mehr. Ebenfalls alle wissen, dass Berlin die Hauptstadt von Deutschland ist. Immerhin.

Das Hauptstädteraten

Allerdings wird es bei allem, was darüber hinausgeht, schon schwieriger. Keiner von gut 20 befragten Deutschen aller sozialen Schichten und Altersgruppen kann die Namen der Bundesländer aufsagen, die heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR existieren. Thüringen ist noch kein Problem. Sachsen auch nicht. Mecklenburg-Vorpommern kennen noch einige. Aber dass es auch Sachsen-Anhalt gibt, weiß nur ein Ingenieur aus der Motorenentwicklung bei Opel. Er weiß sogar, dass Magdeburg die Haupstadt dieses Landes ist. Dagegen kennen fünf Befragte noch nicht einmal die hessische Landeshauptstadt. Vielfach wird Frankfurt statt Wiesbaden genannt. Einer hält Leipzig für die Hauptstadt von Sachsen, ein Opel-Rentner glaubt, dass das badische Mannheim der Regierungssitz von Rheinland-Pfalz ist. Alles potenzielle Kandidaten für die Ausbürgerung.

Blamabel wird es jedoch erst bei den Fragen aus den Kapiteln „Verfassung und Grundrechte“ oder „Bundesstaat, Rechtsstaat und Sozialstaat“ der Einbürgerungsfibel. Eine 45 Jahre alte Hausfrau glaubt etwa, dass alle Staatsgewalt in Deutschland „von der Polizei“ ausgeht. Ein arbeitsloser 24-Jähriger gibt die Volksgewalt glatt an die „Bundesregierung“ ab. Er weiß auch wenig über seine Grundrechte. Die Meinungsfreiheit kennt er. Und das Demonstrationsrecht. Dann ist aber auch schon Schluss.

Die Grundrechtefrage

Vier Grundrechte sollen die Einbürgerungswilligen laut Fragenkatalog benennen können – mindestens. Vor dem Gemeindehaus der evangelischen Kirche mischt sich ein Obdachloser ein. „Saufen bis zum Abwinken“, ruft er, sei doch auch ein Grundrecht. Der 24-Jährige und die Hausfrau gehen schnell weiter.

Ein stadtbekannter Politiker, der nach der Befragung großen Wert darauf legt, anonym zu bleiben, weiß etwa nicht, was Otto Hahn 1938 erstmals gelang. Und auch nicht, welcher deutsche Physiker mit seiner Entdeckung 1895 die medizinische Diagnose „bis zum heutigen Tag revolutionierte“. Hätten Sie’s gewusst?

Zur Ehrenrettung der Einwohner von Rüsselsheim muss allerdings angemerkt werden, dass alle Befragten wenigsten einen Pionier des Automobilbaus in Deutschland benennen können: Adam Opel. Und fast alle Befragten sind sich darin einig, dass dieser Fragenkatalog für einbürgerungswillige Ausländer selbst für die meisten Deutschen „zu schwierig“ sei. Eine „Schikane“ nennt eine 25-jährige Deutsche in der Stadt mit einem Ausländeranteil von knapp 30 Prozent die Einbürgerungsfibel. Und eine Türkin, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt, perfekt Deutsch spricht und bei einer Bank arbeitet, schimpft laut: „Seit mehr als einem Jahr liegt mein Antrag auf Einbürgerung vor. Geschehen ist bis jetzt nichts. Vielleicht wollen die uns hier gar nicht haben!“ Zehn willkürlich ausgewählte Fragen aus dem Katalog und allen Wissensgebieten kann sie im Übrigen richtig beantworten.