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: Intelligente Pressezensur

Die vierseitige Wochenbeilage Bingdian der chinesischen Jugendzeitung erscheint wieder. Doch Anlass für große Freude ist das nicht. Noch vor sechs Wochen bewirkte die Einstellung von Bingdian (deutsch: „Gefrierpunkt“) durch die Zensurbehörden der Kommunistischen Partei einen seltenen Aufschrei unter Chinas Intellektuellen. Nicht nur die betroffenen Redakteure wandten sich in offenen Briefen im Internet und Interviews mit der ausländischen Presse gegen das Publikationsverbot für ihre Zeitung. Auch hörte man plötzlich Namen, die seit der blutigen Niederschlagung der Studentenrevolte auf dem Tiananmenplatz nie wieder in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren. Plötzlich unterzeichneten ehemals hochrangige Parteireformer der Achtzigerjahre einen Appell zur Wiederbelebung von Bingdian. Womit sich erst nachträglich zeigte, wo genau die Beilage politisch zu verorten war: Sie war die Stimme einer seit 1989 anderswo mundtot gemachten parteiinternen Opposition. Der Kommunisten, die 1989 die Seiten gewechselt hatten. Der Demokraten innerhalb der KP.

Der im Januar geschasste Bingdian-Chefredaktuer Li Datong hatte 1989 federführend eine Journalistenbewegung zur Unterstützung der Studentenrevolte ins Leben gerufen. Zur Strafe wurde er anschließend zu Archivarbeiten delegiert – und durfte 1995 mit Bingdian wieder von vorne anfangen. Nun aber wiederholt sich Lis Schicksal: Er soll ab sofort seine Dienste in einem Forschungsinstitut der chinesischen Jugendzeitung verrichten. Das verlangt der parteiinterne Kompromiss, der zur Aufhebung des Verbots führte.

„Die Partei hat sehr schlau gehandelt“, erklärt Wang Xiaoshan, einer der bekanntesten freien Internet-Journalisten Chinas. Wang, bis vor kurzem Leiter der Kulturredaktion einer großen Pekinger Zeitung, spricht von einer „intelligenten Niederschlagung der Pressefreiheit“. Die Partei habe Bingdian auf eine Weise zerstört, die von außen kaum Kritik zulässt. Doch sei das Wiedererscheinen der Beilage belanglos, weil der kritische Geist des Blattes verweht sei.

Die erste Ausgabe nach dem Wiedererscheinen scheint das zu bestätigen: „Antiimperialismus und Antifeudalismus sind die Themen der chinesischen Moderne“ lautet der Titel des Aufmacher-Artikels. In rigorosem Parteichinesisch wird hier ein selbstkritischer Artikel über die Boxer-Rebellion von 1900 zurückgewiesen, der zuvor zur Einstellung von Bingdian geführt hatte. GEORG BLUME