„Pickel fliegen raus“

Sonst stellt er die Fragen: André Boße, 31, Chef des Interview-Magazins „Galore“. Die taz hat den Spieß jetzt umgedreht – und Boße interviewt

INTERVIEW VONMAIK BIERWIRTH

taz: Herr Boße, Sie sind Chefredakteur des einzigen Interviewmagazins Deutschlands. Was macht ein gutes Interview aus?

André Boße: Ein Gesprächsfluss möglichst wie bei einem normalen Gespräch. Außerdem: neue Informationen, ähnlich wie bei Nachrichten. Und es muss natürlich Spannung aufrecht erhalten.

Und wenn sich Gesprächspartner partout nicht aus der Reserve locken lassen?

Dann kann ich versuchen, jemanden anzusticheln. Oder ihn mit ins Boot nehmen und Dinge von mir preisgeben, um ihn auf meine Ebene herunterzuholen. Oder mit Humor. Mein Gegenüber darf jedenfalls nicht denken: ‚Da ist so ein neugieriger Mensch, der möchte jetzt was von mir wissen.‘

Lassen sie es zu, dass die Gesprächspartner die Interviews gegenlesen und weichspülen?

Das passiert mit englischen Leuten überhaupt nicht, weil es dort einen Kodex gibt: Das Zitat ist so viel wert, dass es keiner Autorisierung bedarf. Wenn Robbie Williams zum Beispiel auf einer Pressekonferenz sagt, er habe Probleme mit Frauen, weil es nach seiner Drogensucht im Bett nicht mehr so gut klappt, dann stünde in Deutschland in der Bild-Zeitung: ‚Robbie sagt: Ich bin impotent.‘ In England würde auch die Yellow Press das Original-Zitat drucken. Das ist im anglo-amerikanischen Journalismus ein festes Prinzip: Niemand fuhrwerkt an den Zitaten rum. In Deutschland zielt der Ehrenkodex darauf, dass Interviews autorisiert werden. Kleine Änderungen sind auch gar kein Problem. Aber wenn jemand etwas total verändert, alle spannenden Passagen rausstreicht, Fragen hinzuerfindet oder Antworten, die er gar nicht gegeben hat – dann sagen wir: ‚Das geht aber jetzt so nicht.‘ Darauf sagen die meisten Leute: ‚Okay, war einen Versuch wert.‘ Wenn die Leute sich immer noch bockig stellen, sagen wir irgendwann: ‚Okay, jetzt ist das kein Interview mehr, sondern eine Pressemitteilung.‘ Und dann schmeißen wir es raus. Aber so extrem kam das bisher noch nicht vor.

Schon mal überlegt, eine Autorisierung generell nicht mehr zuzulassen? Oder muss man das machen, um hierzulande hochkarätige Gesprächspartner zu bekommen?

Man muss das nicht, aber es spricht sich schnell rum. Und wenn es erstmal heißt, die bei Galore drucken unautorisierte Interviews, haben wir ganz schnell einen Ruf weg, den wir nicht wollen. Außerdem haben wir ja selten richtig brisante Stellen drin. Und letztlich ist es nur fair, denn: Man macht auch mal Fehler, schreibt den Namen des Vaters falsch oder verwechselt eine Jahreszahl. Dann ist man froh, wenn jemand drüberguckt.

Wollen sie dieses Interview eigentlich lesen, bevor es...

(Lacht) Nein, danke. Da vertraue ich der taz und dem Ehrenkodex des deutschen Journalismus.

Kürzlich hatten Sie Alexandra Maria Lara auf dem Cover. Oder Manuel Andrack. Auch wenn auf dem aktuellen Heft Johnny Depp abgebildet ist: Ein Zufall, dass oft deutsche Persönlichkeiten den Titel zieren?

Wir nehmen die Leute auf‘s Cover, bei denen die Story am besten ist. Bei denen wir auch am meisten Zeit für das Gespräch hatten. Das ist bei deutschen Gesprächspartnern leichter zu bekommen. Allgemein muss die Person auf dem Cover in der Lebenswelt der Menschen eine große Rolle spielen. Bestes Beispiel: Vergangenes Jahr hatten wir Tim Mälzer, den Fernseh-Koch, im Interview. Da war junges, spleeniges Kochen gerade unglaublich angesagt. Wir haben ihn also auf den Titel genommen. Das war das bestverkaufte Heft im Jahr. Dann hatten wir den Zauberer David Copperfield auf dem Cover. Wir dachten: Das muss die Leser doch neugierig machen. Der spielt im Leben unserer Leser aber kaum eine Rolle, deswegen hat sich das Heft nicht gut verkauft.

Stichwort: Titelbild. Bearbeiten sie Fotos? Kommen Narben oder Pickel raus?

Narben kommen nicht raus, wenn sie das Gesicht prägen, aber Pickel und so fliegen schon mal raus. Wenn Johnny Depp auf dem Cover allerdings so komische Bartfusseln trägt, kommt das nicht raus – so sieht der halt gerade aus... Klar, die Stars inszenieren sich immer. Manchmal gottseidank ein bisschen anders. Götz George kam mit dem Fahrrad von seiner Wohnung eine halbe Stunde außerhalb Berlins in die Agentur. Er trug eine Radlerhose und war nass geschwitzt. Mit voller Absicht. Er meinte nur, er wolle etwas anderes haben, und nun sitze er halt hier, nass geschwitzt und in einer Radlerhose. Super. Und das mit 67 Jahren...

Gibt es eigentlich Vorbilder für ihr Magazin, national oder international?

Es heißt immer, Galore sei wie das Interview-Magazin aus New Work, das von Andy Warhol in den Sechzigern gegründet wurde. Es ist halt das einzige weltweit bekannte Interviewmagazin. Unser Herausgeber kannte das aber gar nicht, als er Galore gründete. Ein richtiges Vorbild gab es nicht. In Sachen Interviewführung gibt es aber schon ein Format: In der Süddeutschen Zeitung am Samstag, das Interview auf der letzten Seite der Wochenend-Beilage. Dort schaffen sie es, abseits von normalen Fragen, Themen-Interviews zu führen. Das ist eine Qualität, die wir mit Galore auch erreichen wollen...

Als einziges Interviewmagazin haben sie zur Zeit in Deutschland keine direkte Konkurrenz. Haben sie Angst vor einem zweiten Interviewmagazin in Deutschland?

Angst haben wir natürlich nicht, weil Konkurrenz das Geschäft erst mal belebt. Außerdem glaube ich, dass wir mittlerweile einen so starken Markennamen haben, dass man Galore immer noch als die ersten betrachten würde. Es gibt zwar das Gerücht, dass der Bauer-Verlag an einem Magazin namens Talk arbeitet. Aber generell ist ein reines Interviewmagazin eine Gattung, die für große Verlage nicht so erstrebenswert ist. Wenn nur eine Text-Gattung im Heft ist, schließt man so viele Menschen aus, dass große Verlage eher Bedenken haben. Der Trend geht hin zu möglichst allversorgenden Magazinen für eine gewisse Zielgruppe, wie das bei Neon der Fall ist.

Die Popkomm ist von Köln nach Berlin umgezogen, VIVA auch, und die Musikzeitschrift Spex macht es im Sommer nach. Galore sitzt in Dortmund. Wann ziehen Sie um?

Wir sitzen gern in Dortmund, hier haben wir nichts zu verlieren. Dortmund war nie eine Medienstadt und wird es nie sein. Deswegen sitzen wir auf sehr neutralem Gebiet und müssen uns gar nicht erst mit Berlin vergleichen. Und Dortmund liegt logistisch sehr zentral. Wir sind schnell in Hamburg und Berlin, oder auch in München oder London. Außerdem ist unser Herausgeber Fan von Borussia Dortmund. Es wäre sehr schwer, ihn zum Weggang zu bewegen.

Bisher wurde in Galore trotzdem kein Borussia-Spieler interviewt, dafür aber Rudi Assauer. Eine Frechheit, oder?

Ja, schon. Doch in Dortmund gibt es zur Zeit leider keinen Spieler oder Funktionär, der ansatzweise spannend genug wäre, ihn zu interviewen.

Okay, welchen Künstler würden Sie gerne noch interviewen? Oder hätten ihn gerne zu dessen Lebzeiten interviewt?

Mein Traum wäre, Karl Marx aus dem Himmel zu holen und mit ihm in Ruhe durchzugehen, was in Sachen Kommunismus alles schief gegangen ist. Und was die Menschen in seinem tollen Werk so alles missinterpretiert haben. Ein anderer Traum ist eine Serie mit dem Titel: ‚Das Ende der Macht‘. Mit Menschen sprechen, die in den vergangenen Jahren aus einer Machtposition katapultiert wurden: Bill Clinton als Ex-Präsident der USA, Gerhard Schröder als Ex-Bundeskanzler, den früheren Weltbankchef. Oder auch Heide Simonis drei Wochen nach ihrem Wahl-Fauxpas. Wenn die ehrlich über ihren Machtverlust reden würden – aber das Problem ist, dass die Leute dann eher weniger sagen, was völlig verständlich ist. Sie retten sich in ihre Schutzfloskeln und sagen, sie fühlten sich jetzt viel besser, weil sie mehr Zeit für sich und ihre Familie hätten. Aber diesem schmerzhaften Verlust von Macht näher zu kommen, das finde ich spannend.

Und Karl Marx würde da ja auch reinpassen...

Richtig.

Und dann würden sie gemeinsam aus den Interviews ein neues Manifest erstellen.

Richtig, das Boße-Marx-Manifest. Das ist auch in Planung.