Entscheidungsfreiheit nur für den Arzt

Polen hat nach Slowenien die niedrigste Geburtenrate in Europa. Auch weil die Frauen den Ärzten nicht vertrauen

WARSCHAU taz ■ Polens Abtreibungsrecht gehört zu den restriktivsten Europas. Auf Druck der katholischen Kirche verabschiedete das Parlament 1993 ein Gesetz, das Frauen nur noch in drei Fällen einen Schwangerschaftsabbruch erlaubte: wenn Leben oder Gesundheit der Mutter gefährdet sind, wenn das Kind nicht überlebensfähig oder mit schweren Missbildungen geboren würde, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist. 1996 wurde das Gesetz zwar liberalisiert – als vierter Abtreibungsgrund sollte künftig auch die schwierige persönliche oder soziale Lage einer Frau gelten. Doch das Verfassungsgericht verwarf die Novelle als unvereinbar mit dem demokratischen Rechtsstaat. Geblieben ist vom 1996er-Gesetz die „Gewissensklausel“, die es Ärzten erlaubt, einen Eingriff abzulehnen, der ihren ethischen Überzeugungen widerspricht. Diese sowie der Druck der Bischöfe führten dazu, dass heute kaum noch ein Krankenhaus Abtreibungen vornimmt, auch wenn eine medizinische Indikation vorliegt.

Dem neuesten Regierungsbericht Polens zufolge wurden 2004 194 legale Abtreibungen durchgeführt – bei einer Bevölkerungszahl von 38 Millionen Menschen. In Spanien, das nicht nur eine vergleichbare Bevölkerungszahl, sondern auch ein ähnliches Abtreibungsrecht wie Polen hat, kam es im selben Zeitraum zu 85.000 legalen Abtreibungen. Wanda Nowicka von der Föderation für Frauen und Familienplanung schätzt, dass in Polen jedes Jahr bis zu 200.000 illegale Abtreibungen vorgenommen werden – zu Preisen zwischen 250 und 2.500 Euro.

Die durch einen „Stabilitätspakt“ an der derzeitigen Regierung Polens beteiligte Liga der polnischen Familien will das Recht auf Abtreibung vollkommen streichen. Entscheidend sei weder die Gesundheit des Kindes noch die der Mutter, sondern allein der Wille Gottes.

Auch gesunde Frauen in Polen erleben die Geburt ihres Kindes oft als so entwürdigend, dass sie diese Situation auf keinen Fall ein zweites Mal erleben wollen. Polen hat heute nach Slowenien die niedrigste Geburtenrate in Europa. Die zum Teil traumatischen Erlebnisse junger Frauen in Polens Kreißsälen haben nun die Gazeta Wyborcza bewogen, ihre Aktion „Menschlich gebären“ aus dem Jahr 2000 zu wiederholen. Dafür haben 15.000 Mütter Fragebögen ausgefüllt. Zusätzlich wird jedes Krankenhaus in Polen einzeln bewertet, auch Ärzte und Hebammen werden namentlich gelobt oder kritisiert. Ziel ist es, endlich eine Atmosphäre zu schaffen, in der bei Geburten nicht Routine und Zeitpläne des Krankenhauspersonals an oberster Stelle stehen, sondern das Wohl von Mutter und Kind. GABRIELE LESSER