deutscher filmpreis etc.
: Genie, Wahnsinn und Konsens

Ludwig Mies van der Rohe hat die Neue Nationalgalerie im Zentrum Berlins so entworfen, dass das Licht das Gebäude großzügig durchfluten kann. Seit die Großausstellung „Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst“ die Galerie bezogen hat, ist das anders. Ein Kubus macht sich im „Tempel aus Licht und Glas“ breit; schwarze Stoffbahnen bilden ein riesiges Separee in der ebenerdigen Halle. Hier, im so genannten Salon Noir, findet das Rahmenprogramm zur Ausstellung statt; der Kubus kündet mithin auch davon, wie die Eventisierung der Kunst zu Leibe rückt. Auf Albrecht Dürers „Melancolia“-Kupferstich und Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ allein mögen die Veranstalter offenbar nicht setzen. Lieber organisieren sie Podiumsdiskussionen mit Dr. Motte und Miss Brandenburg und reichen dazu mit Absinth gemixte Cocktails.

In einer traurig-ironischen Volte war der Salon Noir denn auch eine passende Wahl, als es am Donnerstag bekannt zu geben galt, wer in diesem Jahr für den deutschen Filmpreis nominiert ist, die mit gut 2,8 Millionen Euro Steuergeldern am höchsten dotierte Kulturauszeichnung in Deutschland. Aus den Scheinwerfern im schwarzen Kubus fiel das Licht in roter und in goldener Tönung, der Kulturstaatsminister Bernd Neumann repetierte, was Christina Weiss schon so oft von sich gab: „Wir sind mit dem deutschen Film auf Erfolgskurs.“ Günther Rohrbach, Präsidiumsmitglied der Deutschen Filmakademie, wollte von Melancholie nicht wissen: Sie sei „nicht die Gefühlslage, in der wir uns im Augenblick befinden. Mit Genie und Wahnsinn können wir uns schon eher anfreunden.“

So wie die Ausstellungsmacher die Kunst in den Schatten des Events stellen, so verhält sich auch die Kinobranche oft gegenüber ihrem Gegenstand. Mantrenhaft werden dessen Qualität, dessen mittlerweile auch internationales Renommee beschworen, hartnäckig mit roten Teppichen, Nadelstreifenanzügen und Premierenfeiern die Illusion einer prosperierenden Filmindustrie in Szene gesetzt. In der Folge tritt das, was wirklich von Interesse ist, in den Hintergrund. Um nur ein Beispiel zu nennen: Christian Petzolds Film „Gespenster“, ohne Zweifel eine der wichtigsten deutschen Produktionen aus dem Jahr 2005, findet sich auf der Liste der nominierten Filme in keiner Kategorie. Das heißt nicht, dass die in der Hauptkategorie nominierten Film – Detlef Bucks „Knallhart“, Vanessa Jopps „Komm näher“, Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“, Hany Abu-Assads „Paradise Now“, Hans-Christian Schmids „Requiem“ und Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ – nicht der Rede Wert wären. Es heißt aber sehr wohl, dass sich die Mitglieder der Filmakademie schwer tun, sobald ein Film seinen Kunstanspruch klar formuliert, statt ihn verschämt zu verbergen. Favorisiert wird stattdessen, was sich im Korsett des Erzählkinos eingerichtet hat. Kontrovers dürfen dabei höchstens die Sujets sein, nicht die Form. Hat da etwa jemand Angst vor Glas, Licht und Moderne? CRISTINA NORD