Absturzgefahr links

Die Unionsspitze hofft , dass die SPD bei den Wahlen am Sonntag nicht allzu viel verliert. Vor allem nicht an die Linkspartei

VON STEFAN REINECKE
UND LUKAS WALLRAFF

Angela Merkel und die Parteistrategen der Union machen sich Sorgen. Luxussorgen. Um andere Parteien. Verliert die SPD zu hoch? Kann die Linkspartei der SPD gefährlich werden? Darum drehen sich die Gedankenspiele der Union – mehr als um die eigenen Spitzenkandidaten bei den Wahlen am Sonntag.

Der wichtigste Unionskandidat Oettinger im großen CDU-Stammland Baden-Württemberg gilt als sicherer Sieger. Die beiden anderen, Böhr und Böhmer, sind bundespolitisch unbedeutend. Niemand würde es erschüttern, wenn sie verlieren. Im Gegenteil: Nur wenn sie hoch gewinnen, wird es künftig ungemütlich – für die Kanzlerin.

Bei einem Fiasko für die SPD wäre die erste, friedliche Phase der großen Koalition vorbei. „Wenn die SPD“, so der SPD-Linke Hermann Scheer, „das Gefühl bekommt, das Blutopfer für die große Koalition zu bringen, dann muss sie etwas ändern.“ Das ist allen Christdemokraten klar, auch wenn sie offiziell beteuern, sie wünschten sich nichts sehnlicher als einen klaren Sieg „in allen Ländern“.

Für die SPD ist die Linie, die Sieg und Niederlage am Sonntagabend markiert, klar. Sie verläuft nicht in Stuttgart und Magdeburg, sondern in Mainz. Dass Ute Vogt gegen die CDU in Stuttgart keine Chance hat, ist einkalkuliert. Wie hoch die Niederlage ausfällt, ist für die SPD in Berlin marginal.

Ähnliches gilt auch für Sachsen-Anhalt. Wahrscheinlich ist dort eine große Koalition unter Führung der CDU. Dann hätte die SPD dort die Liberalen aus der Regierung gedrängt. Die absehbare Niederlage der FDP in Magdeburg ist zwar hausgemacht – doch die SPD-Parteizentrale wird die Vertreibung der Liberalen aus den Ministersesseln als furiosen Sieg feiern.

Doch wirklich wichtig für die Koalition in Berlin ist auch das nicht. Das labile innere Gleichgewicht der Regierung Merkel/Müntefering hängt für die SPD nur an Rheinland-Pfalz.

Unter Schröder hat die SPD reihenweise Stammländer im Westen verloren: NRW, Hamburg, Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen und das Saarland. Diese Niederlagen waren oft Plebiszite gegen Rot-Grün und Schröders Agenda 2010. Sie hatten dramatische Auswirkungen auf die SPD, die sukzessive ihre Machtbasis in Ländern und Kommunen räumen musste.

„Es geht nur um Beck“

Nur einer hat die Wahlkatastrophen der SPD in der rot-grünen Ära überlebt: Kurt Beck, der letzte Sozialdemokrat, der im Westen ein Flächenland regiert. „Es geht nur um Beck. Der Rest ist fast egal“, so ein linker sozialdemokratischer MdB. Falls nun ausgerechnet die große Koalition in Berlin Beck den Garaus machen sollte, dann wird Sonntagabend im Berliner Willy-Brandt-Haus der Baum brennen. Dann wird es eng für das Spitzentrio der SPD Franz Müntefering, Matthias Platzeck und Peter Struck. Platzeck, der die SPD ziemlich weich repräsentiert, wird dann genau dieser zurückhaltende Stil vorgehalten werden. In der Fraktion dürften die Fliehkräfte wachsen. Die Einigung mit der Union bei Gesundheits- und Föderalismusreform wird dann schwieriger. Vor allem bei der Gesundheit wird die SPD härter verhandeln müssen. Denn die Bürgerversicherung ist das einzige brauchbare Erbe aus der programmatisch dürren Schröder-Zeit. Und (neben dem Mindestlohn, der im Herbst verhandelt werden soll) das einzige Identitätsprojekt, das die SPD zusammenhalten kann.

Offiziell erklären Merkels Leute, es sei „Quatsch“, dass sie insgeheim Kurt Beck die Daumen drücken. Mag sein. Wahrscheinlich sind sie hin- und hergerissen. Natürlich mehrt jeder CDU-Erfolg den Ruhm der Parteichefin. Der Kanzlerin Merkel aber kann es nicht egal sein, wie es ihrem Koalitionspartner ergeht.

Entsprechend freundlich sprach Merkel auch im Wahlkampf über die SPD. Nur verhalten unterstützte sie den ausländerpolitischen Konfrontationskurs von Oettinger und Roland Koch. Es wäre schön, wenn man sich auf Einbürgerungstests einigen könnte, ließ Merkel wissen. Da sei die SPD zu zögerlich. Ansonsten mehr Lob als Klagen. Unlängst wurde Merkel sogar damit zitiert, die Probleme des Landes ließen sich mit der SPD besser lösen als mit der FDP. Das sei „eine Falschmeldung“ gewesen, sagen ihre Sprecher. Merkel habe sich „nur“ auf die Rentenpolitik bezogen. Das eigentlich Sensationelle fiel so oder so kaum auf, weil es ins Bild passte. Merkel lobt die SPD – aus eigenem Interesse.

Im Moment kann sich die Kanzlerin darauf verlassen, dass die SPD-Führung den linken Flügel auf Regierungslinie hält. Ja, mehr noch: Bislang haben es die SPD-Minister, allen voran Franz Müntefering, sogar selbst übernommen, die SPD-Klientel auf die unangenehmsten Reformen (Rente ab 67, Hartz-IV-Kürzungen und Kopfpauschalen im Gesundheitswesen) einzustimmen. Aus Sicht der CDU ein Traum, der am Sonntag enden könnte.

Hinter den Kulissen tobe in der SPD schon jetzt ein Kampf zwischen Regierungs- und Parteiräson, stellen Unionisten fest: „Das kann schnell eskalieren.“ Und sei unberechenbar. Denn die Sozialdemokraten führen Kämpfe, die der CDU fremd sind: „Bei denen dauern Fraktionssitzungen drei Stunden, bei uns nur eine.“ Seit die Union wieder mitregiert, sind Merkels Rivalen verstummt. Die Mehrheit ist zufrieden, weil der allzu FDP-nahe Kurs samt Kirchhof-Spuk passé ist. Erleichtert nahmen die meisten Christdemokraten das Wort „Solidarität“ wieder in ihren Wortschatz auf. Das scheint die eigenen Umfragewerte ja zu steigern – und macht gelassen: Schön, wenn die SPD auch die nächste Arbeitsmarktreform mitmacht. Wenn nicht, dann eben nicht. Oder vielleicht später. So richtig ins Zeug legt sich derzeit niemand in der Union. Warum soll man sich auch verkämpfen, wenn die Richtung stimmt? Sosehr sich der wirtschaftsliberale Flügel noch schnellere, radikalere Reformen wünscht: Er setzt auf Zeit und beugt sich geräuschlos der Parteilinie, die von Merkel vorgegeben wird.

Angela Merkels „Phase zwei“

Die aktuelle Linie besagt, dass ab Montag „die zweite Phase“ der großkoalitionären Reformen beginnt. Fragt man Unionspolitiker, was das bedeutet, erläutern sie: Nach der Rente sollen Arbeitsmarkt, Haushalt und Gesundheit „angepackt“ werden. Ob die immer noch umstrittene Föderalismusreform zur ersten oder zweiten Phase gehört, ist auch ihnen nicht ganz klar. Es ist eben eine typische Merkel-Ansage: „Zweite Phase“ klingt anspruchsvoll – und lässt viel offen. Merkel artikuliert ihre Wünsche (möglichst viel „Deregulierung“, „Bürokratieabbau“ und „Entlastung der Lohnnebenkosten“). Klare Ziele, was man bis wann erreichen muss, stellt sie nicht auf. Wohlweislich. Manche in der Union unken bereits, „so richtig“ könne die Reform wohl erst nach der Berlin-Wahl im September losgehen.

Ein SPD-Desaster am Sonntag würde „das Tempo drosseln“, meint ein CDU-Führungsmann. Eine generelle Gegenwehr zu Merkels Wünschen hält er für unwahrscheinlich. Sollte die CDU klar vor der SPD landen, steht die Deutung fest: Die Menschen wollen mehr Veränderungen. Schon jetzt klagen Leitmedien wie der Spiegel, dass die große Koalition zu zaghaft sei. „Die SPD kann es sich doch gar nicht leisten, als Blockierer dazustehen“, so ein Spitzenpolitiker der Union. „ So dumm wird sie nicht sein.“

Es sei denn, es kommt zum schlimmsten Szenario, das sich die Union vorstellen kann: Die SPD verliert unerwartet hoch und die Linkspartei schneidet gleichzeitig unerwartet gut ab. Dann wird es schwerer, Veränderungen à la Merkel durchzusetzen.

Wenn die SPD das Gefühl bekommt, dass die Linken stärker werden, könnte sie ernsthaft an einen Richtungswechsel denken. Die SPD, so ein Unionspolitiker, beobachtet „sehr sorgfältig, was sich am linken Rand tut“. Nicht nur sie. Auch die Union wünscht der SPD herzlich, dass sie möglichst wenig Konkurrenz von links bekommt. Im eigenen Interesse.