Tornado fräst sich durch Hamburg

Der Wirbelstrum stürzt zwei Kranführer zu Tode und schließt mit einem Hallendach Hochspannungsleitungen kurz. Die Bewohner ganzer Stadtteile verbringen die Nacht im Dunkeln. Polizei leuchtet vorsichtshalber Einkaufsstraßen aus

Von Gernot Knödler
und Anja Tiedge

Andreas Schwart hat es mit ansehen müssen. Der Mitarbeiter einer Autovermietung stand gerade am Tresen, als der Tornado innerhalb weniger Sekunden durch Hamburg-Harburg raste. „Wie in Zeitlupe“ habe er zwei Baukräne umfallen sehen und sofort gewusst: „Die Kranführer kann nur ein Wunder retten.“ Das Wunder blieb aus. Die beiden Männer starben, zwei weitere wurden verletzt.

300.000 Menschen verbrachten die Nacht ohne Strom, tausende ohne fließendes Wasser. Der Regional- und Fernverkehr der Bahn war anderthalb Stunden lang unterbrochen. Meldungen, nach denen auch in Esenshamm im niedersächsischen Kreis Wesermarsch ein kleiner Wirbelsturm gewütet haben soll, erwiesen sich nach taz-Recherchen als falsch. Bei Oldenburg entwurzelte der Sturm aber Bäume und deckte Dächer ab. In Schleswig-Holstein rückte die Feuerwehr 150-mal aus. Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) kündigte an, der Senat werde 250.000 Euro für die Opfer des Sturms bereitstellen.

Der Tornado war das kurzlebige Kind einer Gewitterfront, die am Montagabend gegen 19 Uhr mit Sturzregen und heftigen Böen über Norddeutschland hinwegzog. „Das hörte sich so an, als ob ein Flugzeug auf dem Hof landen wollte“, berichtet Andreas Aldag. Als der Sturm kam, war er noch bei der Arbeit in einer Lagereifirma. „Ich stand am Fenster, dann kamen Dachteile angeflogen“, erzählt er. „Ich bin in Deckung gegangen.“

Rahna Achtermann arbeitete gerade an ihrem Boot im Harburger Binnenhafen, als sie die Windhose sah. „Auf einmal flogen riesige Wellblechteile auf mich zu“, erinnert sie sich. „Ich hatte wahnsinnige Angst.“ Sie habe sich so schnell wie möglich in ihrem Zelt versteckt und das Ende des Hagelsturms abgewartet, der dem Tornado folgte.

Die bis zu 20 Meter langen Blechteile hängen am Tag danach wie Wimpel an den 50 Meter hohen Stromleitungen, die sie tags zuvor lahmlegten. An der alten Harburger Elbbrücke liegt eine Halle mit Segel- und Motoryachten in Trümmern. Nebenan stehen alte Rotklinkerhäuser, die aussehen wie nach einem Bombenangriff. Einige Straßen sind gesperrt. Gestresste Polizisten versuchen an den Absperrungen, die wütenden Anwohner und Geschäftsinhaber vom Betreten ihrer Häuser und Grundstücke zurückzuhalten. „Alle Büros und Lagerhallen stehen offen“, sagt Dagmar Wulf, Geschäftsführerin eines Logistikunternehmens. „Wir wurden evakuiert und hatten keine Zeit, alles abzuschließen.“ Die Nacht habe sie zusammen mit ihrem Lebenspartner und gut 30 weiteren Evakuierten im Harburger Rathaus verbracht.

Doch Wulf brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sieben Einbrüche registrierte die Polizei. „Das haben wir in einer ganz normalen Nacht auch“, sagt ihr Sprecher Ralf Kunz. Allerdings waren in der Nacht 500 statt der üblichen 30 Beamten im Stadtteil präsent. In einigen Einkaufsstraßen bauten sie Lichtmasten mit Notstromversorgung auf. „Insofern war das der bestgehütete Stadtteil Hamburgs“, sagt Kunz.

Der Stromversorger Vattenfall schaffte es eigenen Angaben zufolge, kurz nach 22 Uhr die ersten Kunden wieder mit Strom zu versorgen. Bei den Letzten dauerte es allerdings bis morgens um sechs, bis Licht, Kühlschrank und Stereoanlage wieder funktionierten. Die beschädigten Stromleitungen müssen komplett ersetzt werden.

Weil der Strom bis dahin durch andere Leitungen geschickt werden muss, ist die Versorgung noch etwas wackelig, so dass die Wasserwerke noch nicht alle Pumpen anschmeißen können, die während der Nacht ausfielen. Zwar hätten inzwischen wieder alle Haushalte fließendes Wasser, versichern die Hamburger Wasserwerke (HWW).

Bei vielen sei der Druck aber etwas geringer als normalerweise. Außerdem ströme mitunter braunes Wasser aus den Hähnen: Weil das Wasser aus anderen Werken herbeigeleitet werde, fließe es in der entgegengesetzten Richtung durch die Rohre, so dass sich festsitzende Kalk- und Eisenablagerungen lösten.