„Praktikanten sind ganz normale Arbeitnehmer“

Die Lage vieler Praktikanten ist prekär, sagt Silvia Helbig von der DGB-Jugend. Immer mehr arbeiteten immer länger ohne Lohn. Von ihren Rechten wüssten sie wenig. Zudem hätten sie Angst, sich gegen die Ausbeutung zu wehren. Damit soll jetzt Schluss sein: Am 1. April streiken die Praktikanten

INTERVIEW MARIA DALDRUP

taz: Frau Helbig, am 1. April ruft die DGB-Jugend gemeinsam mit der französischen Organisation Génération Précaire und dem Verein Fairwork zu einem Aktionstag gegen die Ausbeutung von Praktikanten auf. Ist das ein Aprilscherz?

Silvia Helbig: Die Lage der Praktikanten ist viel zu prekär, um einen Aprilscherz zu machen. Wir haben dieses Datum ausgesucht, weil sich der 1. April hervorragend eignet, um die Absurdität der Situation zu zeigen. Auf unseren Transparenten wird stehen: „Arbeiten ohne Lohn – ist das euer Ernst“ oder „Erst Job, dann Praktikum – April, April“.

Aber warum an einem Samstag und nicht – wie bei anderen Streiks – an einem Wochentag?

Dass es ein Samstag ist, haben wir erst später gesehen. Es ist aber okay, weil die Praktikanten noch nicht besonders radikal sind in ihrem Protest. Sie haben Angst, dass sie sich im Praktikums-Unternehmen etwas verbauen könnten. Viele Betroffene sagen: Ist ja toll, das ihr das macht. Macht das mal für mich mit!

Gibt es auch in anderen Städten Aktionen – außer in Berlin, Brüssel und Paris?

Bislang noch nicht. Aber die Aktion lässt sich relativ leicht organisieren. Man braucht eigentlich nur ein paar Freunde, die auch keinen Bock mehr haben auf Ausbeutung im Praktikum, ein paar weiße Masken und ein Transparent. Die Masken sollen die Mitarbeiter ohne Namen symbolisieren, eben die auswechselbaren Praktikanten.

Die Praktikanten gehen zum ersten Mal auf die Straße. Was ist der Hintergrund?

Bei unserer Arbeit haben wir – vor allem in Bezug auf Uni-Absolventen – festgestellt, dass immer mehr Praktika für sechs oder mehr Monate vergeben werden. Bevor man für Geld arbeiten darf, muss man erst mal umsonst arbeiten, um zu zeigen, dass man arbeiten kann. Oft werden diese Menschen dennoch als reguläre Beschäftigte eingesetzt.

Auch haben wir, die DGB-Jugend, verstärkt Fragen zu Praktika in unserer Online-Beratung erhalten. Und bei der Beobachtung von Stellenanzeigen ist uns aufgefallen, dass ungefähr die Hälfte für Praktika sind. Noch etwas ist neu: Als Geisteswissenschaftler war es immer schon schwierig, einen Job zu finden, weil die Leute keine so gradlinige Berufsausbildung haben. Aber jetzt stecken auch vermehrt Absolventen mit einer zielgerichteten Ausbildung wie Wirtschaftswissenschaftler oder Juristen in der Praktikumsschleife.

Wie viele Praktikanten gibt es denn bundesweit?

Das ist völlig unklar. Erst im Sommer rechnen wir mit repräsentativen Zahlen. Bislang gibt es nur eine Zahl des Instituts Arbeitsmarkt und Beruf vom Juni 2003: Danach wurden bundesweit 800.000 Praktikanten und Aushilfen beschäftigt.

Wie ist die Lage in Berlin?

Allgemein ist das Problem der Ausbeutung von Praktis eher in Großstädten anzutreffen. Da in Berlin eine schlechte Arbeitsmarktsituation herrscht, neigen die Unternehmen hier vor allem im kulturellen oder Medienbereich dazu, besonders viele Praktikanten einzustellen.

Haben Praktikanten eigentlich Rechte, die sie geltend machen können?

Natürlich. Aber hier besteht ein extremer Beratungsbedarf. Praktikanten sind ganz normale Arbeitnehmer – mit Anspruch auf einen Vertrag, ein wohlwollendes Zeugnis, Urlaub und Entlohnung. Das sind Rechte, die die Gewerkschaft mal vor hundert Jahren erkämpft hat. Es gibt zudem ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dass man als Praktikant hauptsächlich lernt und nicht arbeitet. Und im Bürgerlichen Gesetzbuch steht: Wenn jemand 20 bis 30 Prozent unter dem durchschnittlichen Lohn verdient, ist das Lohnwucher.

Was fordert der DGB?

Es sollte einen Mindestlohn geben: bei Studierenden 300 Euro, bei Uni-Absolventen 600 Euro. Auch fordern wir, dass ein Praktikant Anspruch auf einen Betreuer hat. Eigentlich müssten sich viel mehr Praktikanten wehren und sich auf ihre Rechte berufen.

Und warum tun sie es dann nicht?

Das ist historisch bedingt. Akademiker hatten lange Jahre eher wenig Probleme, einen Job zu finden. Nun haben viele Angst, sich zu wehren, weil sie einen Job in dem Praktikums-Unternehmen möchten und nicht negativ auffallen wollen. So nehmen sich die Praktikanten selbst die Jobs weg. Die Unternehmen merken ja, dass viele Absolventen bereit sind, umsonst zu arbeiten – und nutzen es dementsprechend aus. Deshalb machen Akademiker jetzt die Erfahrung, dass sie eine Interessenvertretung brauchen.

Wie schätzen Sie denn die öffentliche Akzeptanz des Problems „Praktikumsschleife“ ein?

Ich denke, dass die Bekanntheit und die Akzeptanz des Problems zugenommen haben. Zwar haben wir immer noch Zuschriften von Unternehmern, die sagen: „Die sollen sich nicht so haben. Als ich angefangen habe, musste ich auch richtig büffeln.“ Aber das Ganze ist kein persönliches Problem. Es sind die politischen Umstände, die eine ganze Generation dazu zwingen, in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu arbeiten.

Welche Tipps geben Sie den Absolventen, damit sie nicht in der „Praktikumsschleife“ landen?

Wir können aufgrund der Arbeitsmarktsituation den Absolventen nicht raten: Ihr macht jetzt kein Praktikum mehr. Aber es ist auch so, dass viele sich ziemlich schnell darauf einlassen, eins zu machen – aus Angst, sonst keinen Job zu bekommen. Unsere Erfahrung ist aber, dass man, je selbstbewusster man in die Verhandlung geht, auch umso mehr rausschlagen kann. Dann merken auch die Unternehmen, dass es nicht so lustig weitergeht wie bisher. Nur: Damit sich etwas ändert, muss der Druck aufrechterhalten werden.

Sind noch weitere Aktionen geplant?

Erst mal wollen wir den 1. April gut über die Bühne bringen. Wir haben verschiedene Arbeitsebenen. Einerseits Öffentlichkeitsarbeit, wie die europäische Website www.generation-p.org, um den Leuten zu sagen: Hier gibt es ein Problem und das ist auch euer Problem. Andererseits sind wir politisch aktiv: Wir schreiben Briefe an europäische Abgeordnete und das Europaparlament, planen Gespräche mit den Bundestagsfraktionen und mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.