Keine Macht dem Feinstaub

Braunschweig erreicht bundesweit Spitzenwerte bei den Krebs erregenden Kleinstpartikeln. Jetzt verklagen Anlieger das Land Niedersachsen auf die Erstellung eines „Luftreinhalteplans“. EU-Grenzwerte im Norden bald erneut überschritten

von KAI SCHÖNEBERG

„Kleine handliche Feinstaubsauger, passend im WM-Design“ wollte das Ordnungsamt in Frankfurt am Main verschenken. „Wenn alle Auto fahrenden Fußballfans bis zur WM nur zehn Minuten täglich diesen Staubsauger aus dem geöffneten Fahrerfenster halten“, hieß es in einer Mitteilung zum 1. April, „können wir die EU-Grenzwerte für Feinstaub von täglich 50 Mikrogramm pro Kubikmeter locker einhalten.“ Da die Kleinstpartikel in der Luft wahrscheinlich Krebs, Herz-Kreislauf-Probleme und Asthma erzeugen, ist zwei Braunschweigerinnen längst nicht mehr zum Aprilscherzen zumute: Sie wollen das Land Niedersachsen per einstweiliger Anordnung dazu zwingen, einen Luftreinhalteplan für die Stadt zu erstellen – es wäre die erste derartige Klage in Norddeutschland. „Da liegt ein eindeutiger Rechtsbruch vor“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Fabian Löwenberg, der die Klage in dieser Woche beim Verwaltungsgericht einreichen will. In Berlin hat er bereits ähnliche Verfahren in Gang gebracht.

Bereits nach den ersten drei Monaten des Jahres sind etliche Städte im Norden dabei, den von der europäischen Feinstaubrichtline vorgegebenen Grenzwert zu reißen. Danach darf an höchstens 35 Tagen im Jahr die Grenze von 50 Mikrogramm der winzig kleinen Partikel pro Kubikmeter Luft überschritten werden. Zurzeit führt Göttingen mit 34 Überschreitungen die Feinstaub-Hitliste in den Nord-Bundesländern an, gefolgt von Hildesheim mit 32, Hannover mit 29, Osnabrück mit 28 sowie in Hamburg die Habichtstraße und die Max-Brauer-Allee mit 24 und 21 Überschreitungen.

Bereits vor drei Jahren wurde am viel befahrenen Braunschweiger Bohlweg, wo die beiden Klägerinnen wohnen, eine Belastung von 226 Mikrogramm gemessen – bislang deutschlandweit ein Spitzenwert. Derzeit wird dort nicht mehr gemessen: Der Container war bereits im vergangenen Mai wegen einer Baustelle entfernt worden. Bis dahin hatte es dort 42 Überschreitungen gegeben. „Laut EU-Richtlinie haben wir ein Recht auf Information“, sagt Gisela Stöckmann vom Braunschweiger „Bündnis für saubere Luft“, das heute mit Schutzanzügen und Staubwedeln gegen die dicke Luft demonstriert. „Wenn die Schäden nachweisbar sind, kann das Land haftbar gemacht werden“, sagt Rechtsanwalt Löwenberg.

Bereits 2005 hatten viele Städte die Feinstaub-Grenzwerte großzügig überschritten. Eine Station in Bremen registrierte 82, eine in Hannover 64 Überschreitungen. Während Städte in Italien längst mit Fahrverboten reagierten, zeigten die Aktionen in Deutschland Hilflosigkeit: Städte wie Hannover, Hamburg oder Bremen experimentierten mit Tempolimits, ließen Straßen, an denen Mess-Stationen liegen, feucht reinigen. Auch am Braunschweiger Bohlweg wurde ein Fahrverbot erlassen, dabei gibt es hier kaum Durchgangsverkehr.

Immerhin debattiert der Bundesrat gerade eine Kennzeichnung von Autos mit Dieselrußfiltern. Mit einem Fahrverbot von „Stinkern“ in Innenstädten könnte nach Ansicht von Anwalt Löwenberg viel erreicht werden: „Wenn die Polizei Alkoholsünder kontrollieren kann“, sagt er, „kann sie auch Pkws ohne Filter kontrollieren.“

„Der Verkehr verursacht den Feinstaub nur zu etwa 35 Prozent“, sagt hingegen Jutta Kremer-Heye aus dem niedersächsischen Umweltministerium. Weil vielmehr Ammoniak-Ausdünstungen aus der Landwirtschaft, vor allem aber Industrieabgase aus den EU-Beitrittsländern für die hohen Werte verantwortlich seien, plädiert Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) nicht für eine schärfere Einhaltung, sondern für niedrigere Grenzwerte.

Das sieht Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt in Dessau anders. „Staubteilchen tragen zwar keine Nationalflaggen“, sagt sie. In Niedersachsen sei die Belastung aus Polen oder Tschechien jedoch „kaum noch nachweisbar, wahrscheinlich liegt sie im einstelligen Prozentbereich“.