Eine Hauptschulklasse in Deutschland

Notstandsgebiet Hauptschule: Lehrer Z.* stellt seine 7. Klasse vor

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Giovannis Eltern sind hoch verschuldet. Er hatte Umgang mit falschen Freunden, war beim Ladendiebstahl dabei, ist aktenkundig beim Jugendamt. Immer wieder brechen seine Aggressionen heraus, verbal und körperlich.

Ahmad kommt von der Sprachheilschule. Er lebt beim Vater, zur Mutter hat er seit Jahren keinen Kontakt. In Schreibschrift kann er noch nicht schreiben. Er spricht stockend, schämt sich oft bei Unterrichtsgesprächen. Das Geld für die Unterrichtslektüre ist noch immer nicht bezahlt.

Peter ist ein Pfundskerl: sozial, mitreißend, eine Seele von Mensch. Er ist im hiesigen Sportverein engagiert. Er rechnet sicher und schnell, hat aber Probleme mit dem Schreiben. Das verbindet ihn mit seinem Vater, der es deshalb auch nicht auf die Realschule geschafft hat.

Zeynep lebt bei der Mutter. Der Vater hatte die Mutter und sie regelmäßig verprügelt. Zeynep galt als verschlossen, träumerisch. Sie bekam jahrelang Ritalin. Die Mutter hat ihren Job verloren, weil sie nicht nachmittags und abends arbeiten wollte.

Veronika war schon mehrfach in der Kinderpsychiatrie. Depressionen, Selbstverletzungen, aggressive Schübe. Die Eltern scheinen machtlos. Im Unterricht ist sie wissbegierig und kontaktfreudig, aber oft auch tief verletzt wegen Lappalien.

Lahanes Familie stammt aus dem Kosovo. Zu Hause spricht man kein Wort Deutsch, auch im Fernseher laufen nur albanische Sendungen. Der Vater ist schwer krank. Bücher sucht man bei ihnen zu Hause vergeblich. Mit DVDs und Videokassetten könnte man die Wohnung tapezieren.

Tülay lebt bei ihrer Mutter. Ihr Traumberuf ist Model. Sie ist eine gute Schülerin, hat aber noch große Probleme beim Schreiben.

Anitas Familie kommt aus Griechenland. Sie träumen von einer Rückkehr in einigen Jahren. Vorher soll Anita noch einen Schulabschluss machen.

Svetlanas Mutter hat nun schon den dritten Freund. Die Mutter arbeitet oft bis acht Uhr abends.

Larrys Familie stammt aus Spanien.Er hat eine Klasse in der Grundschule wiederholt, seine Eltern können kaum Deutsch sprechen. Er spricht gebrochen Deutsch, rechnet aber gut.

David lebt beim Vater, die Eltern haben sich getrennt. Der Vater arbeitet Schicht. David muss morgens oft alleine frühstücken, oft kommt er zu spät zum Unterricht.

Beate ist die Stille. Sie leidet unter der schwierigen Mischung in der Klasse. Ihre Eltern arbeiten Wechselschicht. Ihre drei Brüder benutzen sie zu Hause als Putzhilfe.

Bülent erfreuen alle Hauptschullehrer. Er ist leistungsbereit, schreibt tolle Geschichten, liest wundervoll vor, rechnet sicher. Ihm wurde in der Grundschule der Notendruck zu groß. Er reagierte mit Verweigerung: Schlafstörungen, Magenkrämpfe, Aggression. Jetzt, in der Hauptschule, blüht er auf. Er will gern Abi machen. Das letzte Geld fürs Schullandheim hat die Schule bezahlt.

Suleyman ist der Jüngste der Familie. Seine Mutter vergöttert ihn. Er lebt mit seiner großen Familie in einer winzigen Dreizimmerwohnung.Mit seinem Charme gelingt ihm viel. In Deutsch oder Mathe tut er sich sehr schwer. Bücher liest er kaum. Hausaufgaben macht er nie. Nach jedem Anruf der Lehrerin zu Hause wird es kurz besser, dann bleibt alles wieder beim Alten.

Bart ist ein ruhiger Schüler. Seine pakistanischen Eltern hätten es gerne, wenn er es auf die Realschule schafft. Dafür fehlt es aber noch an einigen Ecken und Enden, vor allem in Deutsch. Er wäre nach längstens zwei Jahren wieder auf der Hauptschule. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit Computerspielen und in der Moschee.

Lars hat um jede Lernanstrengung in den vergangenen Schuljahren einen großen Bogen gemacht. Er wirkt mürrisch, berichtet vom Rumhängen mit seinen coolen Freunden draußen nachmittags und am Wochenende. Seine Hefte sind chaotisch, seine Klassenarbeiten auch. Hausaufgaben macht er fast nie. Äußerlich scheint er fast 16 zu sein, im Gespräch merkt man: Er ist noch ein kleines Kind.

Markus hat eine schwere Lese-Rechtschreib-Schwäche. Er hat die 3. Klasse wiederholt. Seine Sätze sind kaum zu entziffern. Wenn er etwas von der Tafel abschreibt, wimmelt es von Fehlern. So nett er in der Schule wirkt – zu Hause kann er ausflippen und bringt seine Eltern mit seinen Wutausbrüchen zur Verzweiflung. Die Eltern sind gerade in Privatinsolvenz.

Vanessa hat seit vielen Jahren eine Angststörung. Ihre Eltern leben getrennt. Ihre Mutter arbeitet als Verkäuferin in der Stadt. Sie ist die meiste Zeit alleine zu Hause. Seit mehr als einem Jahr haben Mutter und Tochter nicht mehr gemeinsam gegessen.

Malika ist fleißig und saugt alles Neue in sich auf. Sie hat tolle Noten. Mit ihrer 7-köpfigen Familie, die aus Pakistan stammt, lebt sie in einem heruntergekommenen Block am Stadtrand. Malika betet fünfmal am Tag und passt auf ihre kleinen Geschwister auf. Ins Schullandheim darf sie nicht.

Slobodan hat mehrfach wiederholt. Er ist länger abwesend als in der Schule. Die Familie stammt aus Serbien und wohnt im höchsten Stock des größten Hochhauses der Stadt. Der Blick von hier ist beeindruckend. Die Familie will dennoch wegziehen: Die Mutter ist schwer krank, der Sohn muss sich dann ab und an um seine Mutter kümmern, einkaufen, sie verarzten, den Laden zusammenhalten. Slobodan will Popstar werden. Die Familie lebt am Existenzminimum.

Benny schluckte in der Grundschulzeit jahrelang Ritalin, die Heilssegnung für Kinder, bei denen das ADS-Syndrom diagnostiziert wurde. Irgendwann glaubte es selbst die allein erziehende Mutter, dass ihr Sohn krank ist. Und verzweifelte daran. Benny ist hippelig, ernährt sich ungesund, ist aber ein begnadeter Fußballer. Seit Beginn der Hauptschule ist der Leistungsdruck weg. Er kann wieder er selbst sein.

Antons Vater ist Armenier und ständig von der Abschiebung bedroht. Wäre er nicht chronisch krank – die Familie wäre sicher nicht mehr in Deutschland. Anton lebt mit Bruder, Oma, Onkel und Eltern in einem heruntergekommenen Container am Rande der Stadt. Anton ist ein fröhliches, freundliches Kind, lernwillig und mathematisch begabt.

Phils Eltern leben getrennt. Den Vater hat er zuletzt vor einigen Jahren im Fernsehen gesehen. In einem Bericht über den Irakkrieg der USA. Die Mutter schuftet für ihn und seine zwei Geschwister. Phil ist ein As in Englisch und Mathe, aber noch zu schwach in Deutsch. Er sitzt mehrere Stunden täglich vor dem Computer und zockt mit seinen Freunden.

Pascal lebt im Kinderheim, seiner Mutter wurde das Sorgerecht entzogen. Er war auf der Förderschule, seit kurzem ist er hier in der Hauptschule. Pascal hat große Pläne, befindet sich aber gerade in einer tiefen Krise. Im Unterricht konnte er nur dösen. Seit er regelmäßig mit dem Psychologen spricht, geht es ihm besser.

* Der Autor ist Lehrer an einer Hauptschule irgendwo in Deutschland. Nicht in einer Großstadt. Die Namen der Schüler sind anonymisiert. Doch die Lebensläufe sind authentisch, die Klasse gibt es wirklich