„Das System ist verbesserungswürdig“

Der aussichtsreiche peruanische Präsidentschaftskandidat Ollanta Humala über die Perspektiven der lateinamerikanischen Linken, die notwendige Integration des Subkontinents und die politischen Besonderheiten seiner eigenen Familie

INTERVIEW GERHARD DILGER

taz: Herr Humala, begreifen Sie sich als Teil der Linkswende in Lateinamerika?

Ollanta Humala: Ja. In Peru spricht man von Nationalismus, anderswo redet man von Indigenismus, Sozialismus oder einfach nur der Linken. Diese progressiven Kräfte wollen dem neoliberalen Wirtschaftsmodell etwas entgegensetzen, ebenso der traditionellen Art und Weise, Politik zu machen. Neue Führungspersönlichkeiten tauchen auf, Evo Morales, Hugo Chávez, Tabaré Vázquez, Lula, Néstor Kirchner, Michelle Bachelet – und ich hoffe, dass jetzt in Peru Humala dazukommt.

Sie sind im Oktober 2000 bekannt geworden, durch einen Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Alberto Fujimori. Wie kam es dazu?

Es war eine Zeit sozialen Aufruhrs gegen ein Regime, das sich an der Macht verewigen wollte, das das Parlament aufgelöst und eine neue Verfassung geschaffen hatte. In anderen Ländern gab es ähnliche Auflösungserscheinungen des politischen Systems. Die Reaktion waren „Putsche von unten“: Die Bevölkerung erhebt sich gegen das System und stürzt seinen Vertreter, also den Präsidenten, wie in Ecuador, Bolivien oder Argentinien. Das war der Kontext unserer Aktion, als wir dem korrupten Fujimori-Regime den Ungehorsam erklärten.

Der Überfall auf eine Polizeistation, den Ihr Bruder Antauro letztes Jahr anführte, um Präsident Alejandro Toledo zum Rücktritt zu zwingen, gehört der auch in diesen Kontext?

Nein, das war eine isolierte Aktion. 2000 hatten sich Teile des Militärs mit der Bevölkerung zusammengeschlossen, es gab auch kein Blutvergießen. Ich mag meinen Bruder und respektiere ihn, und er war konsequent. Aber seine Einschätzung der Lage teile ich nicht.

Was trennt Sie noch vom Rest Ihrer Familie?

Ich glaube an die Demokratie. In Peru ist die Demokratie zerbrechlich und beschränkt sich auf Wahlen. Das Volk wird nur alle fünf Jahre gefragt, welche Präsidenten, Parlamentarier und Bürgermeister es will. Darüber hinaus gibt es keine Beteiligung. Dieses System ist nicht schlecht, aber verbesserungswürdig.

Was sagen Sie zum aggressiven Nationalismus und zur Rückkehr zu einem Inkareich, für die sich Ihr Vater und Ihre Brüder stark machen?

Das Inkareich Tahuantinsuyo ist für uns so etwas wie das Römische Reich für einen Italiener – eine Quelle der Inspiration, des Stolzes. Aber es gibt wohl keinen Italiener, der französisches Territorium reklamiert, weil das einmal zum Römischen Reich gehört hat. Für mich ist Tahuantinsuyo heute das große Vaterland Lateinamerikas. Langfristig wird die Integration mit Bolivien, Ecuador und dem ganzen andinen Amerika entscheiden, ob wir im internationalen Kontext unsere Eigenständigkeit bewahren und ob unsere Länder überleben können. Diese Integration hat nichts Imperiales: Es geht um das Problem kleiner Länder, die ihre Rohstoffe ohne jeden Mehrwert exportieren …

Sie gelten als vehementer Globalisierungskritiker …

Wir sind gegen das Wirtschaftsmodell, das die Sieger des Kalten Krieges durchgesetzt haben, den globalisierten Neoliberalismus. Die Öffnung der Märkte, die Durchlöcherung der nationalen Souveränität, die Schwächung der kulturellen Identitäten sind schädliche Folgen dieser Globalisierung, das höchste Stadium des siegreichen Imperialismus.

Was möchten Sie dagegen tun?

Natürlich können wir das Wirtschaftsmodell nicht über Nacht ändern. Die entwickelten Länder haben die Technik, das Kapital, die großen Firmen, die es ihnen ermöglichen, in andere Märkte einzudringen. Uns will man nicht erlauben, die Landwirtschaft zu stärken, die der Kern unserer Entwicklung sein muss. Im Gegenteil, wir werden immer abhängiger von importierten Lebensmitteln. Unsere Industriebetriebe werden in den Ruin getrieben. Der Gipfel dieser Entwicklung ist das Freihandelsabkommen mit den USA, in das die Regierung Toledo Ende 2005 eingewilligt hat. Es würde uns auf Jahrzehnte knebeln und die Zerstörung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft bedeuten, die nicht vom Export lebt. Der Kongress darf es nicht ratifizieren.