portrait
: Der auferstandene Pate von Corleone

Umsichtig, sparsam, romantisch, fromm, heimatverbunden – über den gestern verhafteten Bernardo Provenzano ließen sich viele positive Dinge sagen, hätte er nicht Dutzende Morde auf dem Gewissen. Umsicht bewies der 73-jährige Boss der Bosse in einem über 40-jährigen Leben im Untergrund. 1963 musste er nach einer Schießerei in seinem Heimatnest Corleone abtauchen – seitdem sah ihn die Polizei nie wieder. Über Jahrzehnte wurde mit einem Foto von 1959 nach dem Cosa-Nostra-Chef gefahndet. Der machte es den Ermittlern nicht leicht.

Nachdem er sich mit seinem Dorfkumpan Totò Riina, Boss der Bosse bis zu seiner Verhaftung 1993, auch in der Großstadt-Mafia von Palermo nach oben geschossen hatte, nachdem sie unter anderem die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 in die Luft gejagt hatten, schottete Provenzano sich strikt ab: Statt per Handy kommunizierte er mit kleinen, von Botenstaffeln überbrachten Zettelchen. Immer wieder konnte die Polizei die Briefchen abfangen. Und sie lernte einen echten Romantiker kennen, der trotz langjähriger Trennung regen Schriftverkehr mit seiner Frau pflegte, ebenso wie einen frommen Mann, der seinen Cosa-Nostra-Gefährten Gebete ans Herz legte. Mehrfach versuchte die Polizei auf der Spur der Boten den Zugriff – vergeblich. So mancher Fahnder hatte den Verdacht, dass Teile des Staatsapparats die Hand schützend über ihn hielten, weil Provenzano 1993 ein Tauschgeschäft abgeschlossen habe: Ich liefere euch Riina aus und mache Schluss mit den spektakulären Morden – dafür lasst ihr mich in Ruhe.

Geschäfte machte die Mafia auch in den letzten Jahren reichlich, und immer war Provenzano mit seinem Anteil dabei. Doch mit Geld warf er nicht um sich: Erstmals stieß die Polizei 2003 auf seine Spur, als er sich unter falschem Namen in Marseille an der Prostata operieren ließ. Der sparsame Hausvater stellte danach, natürlich unter seinem Alias-Namen, Antrag auf Kostenerstattung beim staatlichen Gesundheitsdienst.

So hätte er als altersweiser Pate weiterleben können, als in seinen Briefchen immer für den Ausgleich zwischen den Mafiosi eintretender Boss, als Mann, der jene brutale Vergangenheit, die ihm den Spitznamen „der Traktor“ eintrug, fast hatte in Vergessenheit geraten lassen. Doch am Ende wurde ihm die Zettelpost mit der geliebten Frau zum Verhängnis: Nicht um einen großen Drogendeal, sondern um eine Wäschelieferung ging es da. Und nun lernte die Polizei den heimatverbundenen Provenzano kennen: Er wurde nur zwei Kilometer von jenem Ort verhaftet, an dem er 1963 mit der Schießerei seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte. MICHAEL BRAUN