Simple twist of fate

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Die Männer fragen: Wer wird uns künftig bekochen, bewaschen, vom Bevögeln mal ganz abgesehen?

Worüber müsste noch mal unbedingt geredet werden? Wir hätten da einiges im Angebot: Globalisierung, Multikulti, Oliver Kahn oder den bösen Mann im kleinen Stuhl – alles wird heut gerne genommen.

Aber fangen wir doch da an, wo alles anfing. Mit dem Patriarchat. Es kommt wieder. Auch wenn es niemals weg war, kommt es wieder. Und dann wird alles gut. Auch für uns. Dann werden nämlich wieder ordentlich Kinder gemacht. Sagt jedenfalls Phillip Longman. Er arbeitet in dem jungen Thinktank „New America Foundation“ und hat vor zwei Jahren „The Empty Cradle“ geschrieben, ein Buch darüber, wie sehr sinkende Geburtenzahlen die Welt und den Wohlstand bedrohen und was man dagegen machen kann.

Mit „Welt“ meint Longman die „gut ernährten, gesunden, friedlichen Bevölkerungen“, die derzeit nicht genug Kinder produzieren, um den Untergang ihrer Kulturen zu verhindern. Es sei denn, sie sind fromm und konservativ. So wie die Population, der Phillip Longman entstammt. In den USA könne man etwa feststellen, dass Staaten, in denen Bush 2005 siegte, eine 12 Prozent höhere Geburtenrate als die Kerrywählerstaaten haben. Das sollte uns fürwahr zu denken geben. Das Humankapital in Europa sei vielleicht qualitativ hoch, sagt Longman, aber am Ende doch zu wenig, um effektiv zu wirken.

Im Irak dieser Tage sei doch sehr gut zu sehen, was für eine Kraft in einer großen Population liege. Da nützten einem manchmal die schönsten Smart Bombs, Laserraketen und ferngesteuerten Dronen nichts.

Aber wer ist schuld daran, dass die Welt der gut ernährten, gesunden, friedlichen Bevölkerungen keinen Bock auf Kinder hat? Der Wohlfahrtsstaat. Wenn es den nicht gäbe, sagt er, würden die Menschen allein zur Sicherung ihrer Zukunft mehr Kinder kriegen.

Longmans Rezept dafür ist die Wiedererstarkung des Patriarchats. Da achtet der zukünftige Daddy nämlich auf eine standesgemäße und gleichzeitig gebärfreudige Partnerin, damit das eigene Gengut fortbesteht. Aus Erfahrungen mit Frauen, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren alleine Kinder großzogen, weiß man übrigens, dass genau diese gar kein Garant für Fortbestand sind. Sie wollen sich nur selbst verwirklichen und dabei kommt nicht viel heraus. Sie tragen einfach nicht zur Massenpopulation bei. Das tut nur die Familie mit Oberhaupt. Dem großen Vater. Im Himmel wie auf Erden.

Bastarde, sagt Longman, also unehelich Geborene, werden im Patriarchat nicht akzeptiert, weil sie das männliche Investment in die nächste Generation aushöhlen. Sie tragen nicht den Namen des Vaters, daher übernimmt er im Gegenzug auch kaum Verantwortung. Wurzellos schwinden und fallen die leidenden Bankerte blindlings von einer Stunde zur andern, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen.

Eheliche Kinder hingegen gehören schon traditionell in die Familie des Vaters, tragen zur Verbreitung seines Namens bei und sind eine immerwährend sprudelnde Quelle von Ehre (oder Scham) für ihn, deshalb legen sich die Väter von legitimen Kindern auch mehr ins Zeug.

Manchmal könnte man glatt glauben, Mr Longman sei ein frommer Muslim. Tja. Liebe ungläubige Betschwestern, so sieht’s aus an der Front. Momentan. Aber immer wenn man meint, es geht nicht mehr, bäumt sich eine der Urgewalten feministischen Bewusstseins am Horizont auf.

Helke Sander kommt mit neuesten Erkenntnissen aus der Mitdenkzentrale. Sie findet zwar die Aufforderung zum Geschlechtsverkehr aus Kathedralen und Kirchen zum Piepen, aber sie findet rein gar nichts dabei, wenn die Bevölkerung schrumpft. Während ich ja der Ansicht bin, die Deutschen hätten ihre historische Rolle genügend erfüllt und könnten in aller Stille abtreten, träumt sie von grasüberwucherten Autobahnen für die Hinterbliebenen und von überfluteten Elbwiesen, in denen deren Kinder schwimmen lernen.

Sie glaubt an die Geschichte als ewiges Experimentierfeld: „Alles fließt eben und ist im stetigen Wandel begriffen. Sicherheiten sind eingebildet, alle fortschrittlichen Veränderungen haben ihre Kehrseiten“, schreibt sie in einem aufmunternden Gebärstreikaufsatz und deutet die allgemeine Bevölkerungsschwundaufregung als männliche Panik vor allgemeinem Betreuungsschwund – wer wird uns zukünftig bekochen, bewaschen, vom Bevögeln mal ganz abgesehen. Denn die Diskussion über Unvereinbarkeit von Karriere und Kind bei fehlender Ganztagsbetreuung werde ja mittlerweile unter Ausschluss von Frauen geführt. Die hätten derzeit lysistratamäßig weder Lust, Kinder in die Welt zu setzen, noch sich groß dafür zu rechtfertigen.

„Wer den Kindermangel beklagt, möge in Vorleistung gehen. Behandelt Konflikte nicht mit Waffen, Zäunen, Bomben, Militär. Denkt euch was anderes aus. Zeigt, dass ihr gewillt seid, mit Verstand und Gefühl auf eine Kinderwelt einzugehen. Kein Terrorist, der die Welt besser bomben will, hat je über Kinder gesprochen, aber auch kein Waffenfabrikant und Forscher an Vernichtungsmitteln …“

Ich höre solche Töne unheimlich gerne. Sie klingen wie eine gute 12-String-Gitarre – satter, energetischer und optimistischer Sound, bei dem man sofort noch mal von vorne anfangen möchte, an die Kraft des Guten glaubt, sich umgehend verknallt und in den nächsten Sonnenuntergang reitet, um eine bessere Welt aufzubauen.

Ja. Alles wird gut. Auch die weniger Betuchten können jetzt traditionelle Bauernhäuser in traditioneller Bauweise oder gleich ganze Gutshöfe in entlegenen und entleerten Gebieten preiswert erstehen. Wenn Nazis da sind, ist es sogar noch billiger. Und wo nicht genug Einheimische sind, lädt uns der böse Mann im kleinen Stuhl noch ein paar dazu aus dem Ausland ein.

Wer ist schuld daran, dass die Welt der gut Ernährten keinen Bock auf Kinder hat? Der Wohlfahrtsstaat

Aber Obacht! Das Experimentierfeld der Geschichte hat möglicherweise eine Lehre parat, die wir noch gar nicht bedacht haben: Wohlfahrtsstaaten wie Irland, Holland oder Frankreich haben das Problem des Kinderschwunds gar nicht. Das sind bislang nur Deutschland, Italien und Spanien … Na? Und was eint diese drei? Jawohl!

Um nicht gleich mit der faschistischen Vergangenheitskeule zu winken, könnte man auch sagen: die Brüche in der Identität. Daran knabbern wir bis heute. Wir mit unseren Neonazis, die Spanier mit den Basken und wegstrebenden Katalanen, und die Italiener schaffen’s noch nicht mal, sich von Berlusconi zu lösen. So gesehen ist das Aussterben dieser Populationen eine Strafe, die man im moralischen Sinne als gerecht empfinden könnte. Insofern sollten sich die Amerikaner nicht zu früh freuen.

Um noch mal auf den wahnsinnigen Phillip Longman zurückzukommen – seiner These nach werden besonders die jetzt so säkularen Staaten eine religiöse Renaissance, die sich gewaschen hat, erleben. Zwar wird die europäische Bevölkerung dramatisch schrumpfen, aber dann gibt’s unter den Übriggebliebenen den Superduper-Wettbewerb, bei dem nur die Stärksten überleben. Und die werden dann ihren bösen, egoistischen Individualismus unterdrücken und sich einem Vater beugen, der am besten weiß, was gut für alle ist. Denn sein ist die Kraft und die Herrlichkeit. Im Himmel und auf Erden. Amen.

Fotohinweis: Renée Zucker hat einen Sohn, der nicht zur Massenpopulation beiträgt.