Vietnam will wilde Streiks befrieden

Seit Jahresbeginn legten in Ho-Chi-Minh-Stadt 47.000 Beschäftigte die Arbeit nieder. Investoren beschweren sich

BERLIN taz ■ Um den boomenden Industriestandort nicht zu gefährden, will die vietnamesische Regierung die Zahl der Streiks in Ho-Chi-Minh-Stadt reduzieren. Seit Jahresbeginn gab es in der 6-Millionen-Metropole 47 Arbeitsniederlegungen mit insgesamt 47.000 Teilnehmern. Allein im Februar wurden in ganz Vietnam mehr als 100 Fabriken bestreikt.

Der Schwerpunkt des Protests von Beschäftigten liegt in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, im Süden des Landes. Die Streikenden haben bereits eine Erhöhung des staatlich garantierten Mindestlohnes in Fabriken ausländischer Investoren erreicht. Der beträgt jetzt zwischen 45 und 55 US-Dollar pro Monat – eine Erhöhung um 40 Prozent.

Doch den Beschäftigten geht es nicht allein um mehr Lohn. Berichte über die Arbeitsbedingungen bei taiwanischen, südkoreanischen oder chinesischen Investoren, die die Billiglohnarbeit für internationale Hersteller von Schuhen, Textilien und Spielzeug organisieren, klingen wie Schilderungen aus dem 19. Jahrhundert. So soll es tätliche Übergriffe von Vorarbeitern gegeben haben. In den Industrievorstädten fehlen Krankenstationen. Arbeiter sterben nach Arbeitsunfällen oft bereits auf dem Weg ins weit entfernte Krankenhaus.

Der Vizebürgermeister von Ho-Chi-Minh-Stadt, Nguyen Thien Nhan, der in Magdeburg ein Ingenieurstudium absolviert hat, steckt in einem Dilemma. Einerseits soll er wegen des heute beginnenden 10. Parteitags der Kommunistischen Partei Vietnams die aufmüpfigen Arbeiter befrieden und ein Übergreifen der Streiks auf staatseigene Firmen verhindern, in denen die Löhne noch niedriger sind. Er strebt an, Mindeststandards für die Arbeitssicherheit und die Wohnbedingungen der vielen Wanderarbeiter zu entwickeln. Andererseits steht er international unter Druck. Europäische und japanische Arbeitgeberverbände haben von der vietnamesischen Regierung gefordert, die Streiks einzudämmen. Vietnam werbe schließlich mit niedrigen Arbeitskosten und einer gut ausgebildeten Arbeiterschaft, „die nicht zu Streiks neigt, weil die Gewerkschaften staatlich kontrolliert sind“, so der Chef der Europäischen Handelskammer, Alain Cany.

Vietnam erklärt die Streiks in einem sozialistischen Land offiziell zu Protesten gegen Rechtsverstöße von ausländischen Unternehmern. Vizebürgermeister Nhan appellierte deshalb an die Unternehmer, die 48-Stunden-Woche einzuhalten, allen Arbeitern legale Arbeitsverträge auszustellen und ihre Lohnhöhe zu veröffentlichen. Außerdem will er bis Jahresende erreichen, dass in 80 Prozent der ausländischen Unternehmen Gewerkschaften vorhanden sind. Derzeit gibt es sie erst in 35 Prozent der Firmen.

Organisiert haben die staatlich kontrollierten Gewerkschaften die Streiks nicht, räumt die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes Cu Thi Hau ein. Es handelt sich um Arbeitsniederlegungen und Proteste, die die Beschäftigten selbst durchführen. MARINA MAI