Vielleicht wachsen wir raus

Die schönste Musik ist für Schneider TM die, die vom Himmel fällt. Passiert aber selten. Über Haltung, Politik,Verschwendung und Schrumpfung im Musikbetrieb Berlin redet er mit Barbara Morgenstern

MITGEHÖRT VON THOMAS WINKLER

Barbara Morgenstern: Sollen wir uns gegenseitig interviewen?

Schneider TM: Warum nicht? Wie läuft’s bei dir?

Morgenstern: Fantastisch.

Schneider: Ja, bei mir auch. Alles top.

Morgenstern: Schon in den Charts?

Schneider: Ja, die Charts, auch prima, aber ja nicht unbedingt unser Thema. Es interessiert mich nicht, Musik zu machen, die aktuell ist. Natürlich weiß man nicht, wie lange so eine Platte hält, wenn man sie macht. Aber ich mache das jetzt seit 15 Jahren, und ich habe gemerkt, dass die Platten, die losgelöst von Zeit und Raum entstanden sind, am schnellsten fertig wurden und am längsten hielten.

Morgenstern: Aber diesen Zustand zu erreichen, das finde ich oft schwierig. Je länger man Musik macht, desto mehr ist man in Erwartungen und Verpflichtungen verstrickt. Am Wochenende spielt man irgendwo, und wenn man dann zurückkommt, ist man erst mal erschöpft und möchte nur noch schlafen. Diesen Wechsel finde ich zunehmend anstrengender. Am Anfang war man noch heiß, überallhin zu fahren, da war das noch das große Hurra, aber das lässt nach.

Schneider: Das mit dem Touren ist echt ein Problem. Wenn man wie wir in zwei Jahren 200 Konzerte spielt, dann hat man zu nichts anderem mehr wirklich Zeit.

Morgenstern: Vor allem wird ja auch so umfassend für einen gesorgt auf Tour. Du fährst rum, spielst abends und musst dich nicht mehr um deine Alltagsstrukturen kümmern. Wenn man dann wieder nach Hause kommt, weiß man nicht mal mehr, wann man aufstehen soll.

Aber ich merke, ich komme immer wieder gerne zurück nach Berlin. Gerade wenn ich andere Städte sehe, dann denke ich: Berlin hat seine Vorteile. Viel Platz, total grün, sehr ruhig im Vergleich zu anderen Großstädten.

Schneider: Sehr billig.

Morgenstern: Genau. Aber ich denke momentan sehr intensiv darüber nach, ob ich nicht wieder einfach mal einen Job mache. Zum einen, um nicht mehr diesen Produktionsdruck zu haben, und auch weil mir der Kontakt zur reellen Welt fehlt.

Schneider: Ich finde ja eher, dass es Scheiße ist, dass man Geld braucht zum Leben, das man dann nicht mehr in Equipment stecken kann. Was Berlin angeht: Mir ist schon mal der Gedanke gekommen, bei der Rückkehr von den Touren wieder abzuhauen aus der Stadt. Das Haus, in dem ich wohne, ist seit einem Jahr eingerüstet, das nervt. Andererseits inspiriert mich die Stadt als Geräusch. Ich hänge Mikrofone aus dem Fenster und habe dann wunderschöne Industrial-Noise-Stücke. Das ist für mich manchmal schönere Musik als die, an der man wirklich hart gearbeitet hat, weil ich sie mir anhören kann als etwas, das vom Himmel gefallen ist.

Morgenstern: Berlin ist schon eine Inspiration, auch wenn die Stadt beliebiger geworden ist. Zum einen kamen die großen Majors, zum anderen wurden die ganzen illegalen Clubs wie Berlin Tokyo zugemacht.

Schneider: Die Infrastruktur ist größer geworden, aber nicht unbedingt besser.

Morgenstern: Wenn ich im Ausland bin, kriege ich immer den Eindruck, Berlin ist nur noch ein riesiger Mythos. Noch am Ende der Welt sagen mir irgendwelche 18-Jährigen, ihr Traum wäre es, in Berlin zu leben und elektronische Musik zu machen. Das ist so eine Blase und wird vollkommen überbewertet. Nach dem Mauerfall mag das ja so spannend gewesen sein, das war eine Wahnsinnszeit, aber das ist vorbei.

Schneider: Diese Information kommt am Ende der Welt aber jetzt erst an.

Morgenstern: Andererseits wachsen wir ja vielleicht auch aus einer bestimmten Szene heraus. Was weiß ich, was irgendwelche 20-Jährigen interessiert?

Schneider: Das Problem ist auch, dass Ende der Neunziger Minimal und Electronica so explodiert sind, aber 90 Prozent dieser Sachen langweilig sind. Es ist so einfach zu machen, und man hört die Programme, mit denen es programmiert ist, man hört die Plug-ins raus. Ich war in den letzten zwei Jahren so gut wie auf keinem Elektronikkonzert oder in einem Club, um zu elektronischer Musik zu tanzen. Ich finde das alles langweilig, was da gerade passiert, weil es nur eine Wiederholung dessen ist, was in den Neunzigern vielleicht mal ansatzweise interessant war.

Morgenstern: Es gibt so viel Labber-Elektro. Früher war Musikmachen für mich ein romantischer Traum, und jetzt geht es immer mehr um Geld. Das nimmt mir einen Teil der Freude. Man fragt sich: Was will man aussagen? Wie bringt man das auch optisch rüber? Früher habe ich einfach kranke Puppen fotografiert und die aufs Cover gemacht.

Schneider: Warum fällt dir diese Spontaneität heute schwerer? Weil es um Marketing geht?

Morgenstern: Ja. Es gibt schon Überlegungen, was die Leute denken könnten, die meine Musik bisher gemocht haben. Früher war mir das scheißegal.

Schneider: Mir ist das immer noch scheißegal. Bei meinem neuen Album habe ich keinem von meinem Label und auch nur ganz wenigen Freunden vorgespielt, was ich da mache, weil ich mich vor solchen Erwartungshaltungen schützen wollte. Ich bin da aber wohl auch vorbelastet, weil meine Eltern Lehrer waren und ich immer das Gegenteil von dem gemacht habe, was von mir erwartet wurde.

Die Frage ist: Lässt man sich kaufen? Geht man strategisch vor? Bei mir gibt es eine klare Haltung dagegen und ich hätte sicherlich eine kommerziell klügere Platte aufnehmen können. Was ich dabei schockierend finde, ist, dass bei den Anfang-Zwanzigjährigen die Medien-Brainwash-Scheiße greift. Da gibt es wenige, die sich eine eigene Kultur schaffen. Es fehlt eine Anti-Kultur, obwohl es dafür mehr Gründe denn je gibt. In Frankreich scheint etwas zu passieren, aber hier wird jemand wie Sido als Anti-Establishment empfunden, obwohl es letztendlich dasselbe wie Dieter Bohlen ist. Die Jugendlichen interessieren sich nur für Turnschuhe.

Morgenstern: Mein Eindruck ist eher, die stehen extrem unter Leistungsdruck von der Schule her. Bis 2000 habe ich in einem Jugendzentrum gearbeitet und viel von 16- oder 17-Jährigen mitgekriegt. Musik war für die eher etwas, was man nicht macht, weil man ja was werden muss. Andererseits ist Hiphop bei denen ganz groß, weil es um Haltung geht.

Schneider: Bei Hiphop – da geht es doch nur um Konsum.

Morgenstern: Ja, um dicke Hose und dicke Autos, aber halt auch: Ich bin wer.

Schneider: Aber es muss doch um einen alternativen Lebensentwurf gehen. Ich persönlich würde meine Musik vom Markt nicht verbiegen lassen. Da würde ich lieber jobben oder auf der Straße sitzen. Mir geht es um eine Haltung: Das, was da draußen passiert, ist zu 98 Prozent menschenunwürdig und totale Scheiße. Darüber schreibe ich Texte, und meine Art zu denken spiegelt sich in den Strukturen meiner Musik wider. Ich programmiere einen bestimmten Beat nicht, weil ich weiß, der kommt gut an. Das ist schon auch eine Verweigerung, aber eher eine Verteidigung des freien Geistes: bewusst sein, offen sein, interessiert sein. Aber die Leute werden klein gehalten, verdummt und betäubt. Und deshalb mache ich die Musik, die ich mache, und damit stoße ich nicht immer auf Freunde – selbst im Elektronik-Lager.

Morgenstern: Ich frage mich immer, welche Musik überhaupt politisch ist.

Schneider: Jede. Gerade die elektronische Minimal Music hat damit angefangen, eine Haltung gegen das Rockstartum und solchen Scheiß zu etablieren.

Morgenstern: Stimmt schon, das war damals auch ein Grund für mich, mit elektronischer Musik anzufangen. Weil ich auch von den Strukturen im Musikgeschäft angenervt war, von der Verschwendung und Bereicherung in diesem System. Auch deshalb haben wir das so eingeschrumpft, haben unseren Kram so günstig und damit so unabhängig wie möglich produziert. Das war und ist natürlich auch eine politische Aussage.

Allerdings: Für mich ist entscheidend, auch wenn das abgeschmackt klingt, authentisch zu bleiben. Ich kann nur über politische Themen schreiben, wenn es mich persönlich berührt, sonst wäre es prätentiös. Musik funktioniert auf einer gefühlsmäßigen Ebene. Man kann mit Musik Sachen sagen, die mit Worten nicht gehen. Aber das ist in meinem Inneren weit weg von Politik. Politik ist für mich, sich für oder gegen Sachen zu engagieren, aber das ist weit weg von meinem Verständnis von Musik. Die Haltung drückt sich eher aus in der Szene, in der man sich bewegt, in dem Leben, das man führt.

Schneider: Da fängt Politik doch schon an, dass du dich in deiner Musik vor keinen Karren spannen lässt. Umgekehrt merkst du doch bei einem wie Sido oder bei allen von Aggro Berlin, wie die Machtstrukturen sind. Zuerst geben die Leuten denen eine Stimme, die bisher keine hatten, dann geht’s denen besser, und sie machen nur noch lustige Weihnachtslieder und Dieter-Hallervorden-Klamauk. Obwohl das ein Indie-Label ist, wird das sofort verwässert.

Morgenstern: Da fällt mir ein, ich bin spät abends von irgendeinem Konzert zurückgefahren und habe im Radio ein Interview mit dir gehört. Das muss so 86 oder 87 gewesen sein. Da hast du noch in der Nähe von Bielefeld auf dem Land gelebt und hast erzählt, du hättest die Platte mit einem Vierspurrekorder aufgenommen. Das fand ich toll.

Schneider: Darum geht’s ja auch – möglichst unabhängig bleiben, nicht als lebende Leiche herumlaufen, sondern sich ausdrücken, die Idee von einer Alternative weitergeben und anderen Leuten Mut machen.

Morgenstern: Und das funktioniert auch.

Schneider TM stellt sein neues Album am 23. 4., 20 Uhr, im Kato vorBarbara Morgenstern spielt am 5. 5. in der Maria am Ostbahnhof