Die Spitze der Mindestforderfront

Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) toppt die neue Lieblingsforderung der Gewerkschaften um 50 Cent. Ein gesetzlicher Mindestlohn soll nach Ansicht des Senators bei 8 Euro pro Stunde liegen

von RICHARD ROTHER

Berliner sollen nicht mehr billig malochen müssen: Als erster Wirtschaftsminister eines deutschen Bundeslandes fordert Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Auch bei der Höhe hat sich Wolf schon festgelegt: 8 Euro pro Stunde sollen es sein – deutlich mehr, als bislang in vielen Branchen in Berlin gezahlt wird.

Mit seiner Forderung, kurz vor dem 1. Mai platziert, befindet sich Wolf in illustrer Gesellschaft. Die Bundesparteitage von Linkspartei.PDS und WASG wollen am Wochenende eine Kampagne für gesetzliche Mindestlöhne in Höhe von 8 Euro pro Stunde beschließen. Mehrere Gewerkschaften kämpfen bereits seit Wochen für einen vorgeschriebenen Lohn von mindestens 7,50 Euro pro Stunde. Diese Forderung wird auch eines der zentralen Themen auf den Gewerkschaftsdemonstrationen am 1. Mai sein.

„Von seiner Arbeit muss man leben können“, sagte Wolf der taz. In vielen Branchen in Berlin gebe es tarifliche Löhne, mit denen sich bei einer Vollzeittätigkeit kein Nettoeinkommen erzielen lasse, das über der Pfändungsgrenze von knapp 1.000 Euro liege. Betroffen seien oft die klassischen Frauenberufe wie etwa Frisörinnen, kritisierte Wolf, der auch Arbeits- und Frauensenator ist. Die Zahl der Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften wachse auch deshalb so stark, weil Menschen, die eine Arbeit hätten, so wenig verdienten, dass ihnen ergänzendes Arbeitslosengeld II zustehe.

Einen Abbau von Arbeitsplätzen durch die Einführung von Mindestlöhnen befürchtet Wolf nicht. In vielen europäischen Ländern gebe es Mindestlöhne, zum Teil boome dort – wie etwa in Großbritannien – die Wirtschaft. Die Bezieher von Minimaleinkommen sollten von Sozialabgaben entlastet werden, schlägt Wolf vor. Das komme Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugute. Zudem könnten die Mindestlöhne neue Jobs schaffen, da sie die Kaufkraft und so die Binnennachfrage stärkten.

Unter dem Motto „Arm trotz Arbeit?“ hatten die Gewerkschaften Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) und Ver.di diese Woche in Berlin eine Konferenz zum gesetzlichen Mindestlohn durchgeführt. Ver.di und NGG fordern einen Stundenlohn von minimal 7,50 Euro, der schrittweise auf 9 Euro erhöht werden soll. In Großbritannien steigt der Mindestlohn dieses Jahr auf 7,71 Euro.

Allerdings gibt es auch in den Gewerkschaften Vorbehalte gegen einen gesetzlich garantierten Lohn, vor allem in den starken Industriegewerkschaften Metall und Chemie. Sie fürchten, ein gesetzliches Mindesteinkommen könne das Lohnniveau auch in den Branchen nach unten drücken, die relativ hohe Gehälter zahlen. Sie sind daher für branchenspezifische Mindestbezahlung. Dabei würde quasi der jeweilige unterste Tariflohn als Minimalentgelt fungieren. Eine Lösung für diesen innergewerkschaftlichen Konflikt wäre: Der allgemeine Mindestlohn wird zunächst auf 7,50 oder 8 Euro pro Stunde gesetzlich festgelegt. Branchen, deren unterstes Tarifniveau darüber liegt, schreiben dieses als Mindestlohn vor.