JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: „Super, ich freu mich so sehr über euch …“

Sie wollte offiziell 40 werden. Und lud ihre allerengsten FreundInnen ein. Circa deren 250. Es wurde dennoch intim

Mariella sahen wir oft. Mal bei einem Empfang in München, beim Get-together in Frankfurt am Main, auch wussten wir zu erinnern, dass sie in Berlin lebt. Ein zugewandtes Wesen, etwas klein von Statur, ein leicht mäusiges Gesicht, das sie aber mit einer Sonnenbrille à la Audrey Hepburn gut zu schmücken weiß. Sie lebte damals von kleineren Aufträgen. Hier mal eine Drehbuchkorrektur, dort mal ein Gutachten für eine TV-Produktion, nichts Festes, eher das, was man neumodisch als prekär bezeichnet: Sie hätte so leicht durch den Rost fallen können. Eine Figur werden, wie sie alle schon einmal gesehen haben und die man nie werden möchte. Ein has-been, eine Gewesene, aus der Zeit gefallen. Der Stil nicht mehr gefragt; die ganze Art: uncool. Trotzdem werden sie nicht vom Erdboden verschluckt, auch können, wenn es denn Frauen sind, nicht alle Mutter werden. Manche möchten nicht, anderen fehlt hierfür der Mitmacher .

Mariella aber hatte Glück, hörten wir, sie bekam einen klasse 75.000-Euro-Job. Fest. Für mindestens drei Jahre. Und dann bekamen wir Post von ihr. Per Mail. Sie lade uns ein zu ihrem 40. Geburtstag, in Köln, nur die allerengsten Freunde. Die waren wir nun nicht, fühlten aber ein Geschmeicheltwerden, das ja oft ehrt. In der elektronischen Mitteilung stand aber auch, dass wir alles Nähere auf einer Webseite erfahren können, eigens für diesen Event installiert. Das wollten wir auch. Und da stand tatsächlich alles. Die Hotels, in die wir uns einquartieren können, und die Anfahrtmöglichkeiten. Uns beschlich die klamme Frage, ob wir sie feiern würden in einem intimen Rahmen oder es doch nur ein Get-together sein würde, eines, das als Geburtstagsevent verkleidet wird? Nein, das konnte ja nicht sein, denn es war auf der Website noch eine weitere Rubrik anzuklicken, die hieß „Geschenke“.

Und die haben wir besucht – warum auch nicht, denn wir kennen ja Mariella nicht so genau. Was wurde uns alles leicht gemacht! Wie bei einer Hochzeitsliste: Man will ja auch nicht für den Abfall schenken, für die Kiste, die man am Tag nach der Feier beim Roten Kreuz vorbeifährt. Handtücher wünschte sie sich, Porzellan, ein Radio, Bücher, eine Kamera, digital natürlich, eine Kreuzfahrt und einen bestimmten Schal, außerdem kosmetische Produkte eines Herstellers, der wirklich zur ersten Wahl von Hollywood zählt. Wir mochten Mariella spontan sehr viel mehr als zuvor. Ein Dokument der während der Jahre in freien Tätigkeiten entbehrten Dinge, eine Liste jener Waren, die sie ersehnte – und alle, man möchte das gar nicht benennen, so viel Product Placement wäre es hier, von feiner Qualität, wirklich – kein Stück mit dem Hautgout des Preiswerten, Praktischen, das zu erwerben ja einen zwingt, wenn die Lage finanziell desolat ist und bleiben könnte. Nur der Buchschmökergeschmack verstörte. Nicht weil sie ihn hat, sondern so entblößt notiert hat: Sie erhoffte Dan Browns „Das Sakrileg“ geschenkt zu bekommen – so nah wollten wir ihre Lesegelüste nicht gepriesen bekommen.

Wir entschieden uns für Pralinés aus Zürcher Produktion, außerdem ein Fässchen hawaiianisches Salz – weil es so hübsch schwärzlich aussieht. Pünktlich kamen wir zum Ort des Geschehens – und waren, man sollte sich in die Gästeliste eintragen, die Nummern 158 und 159. Wie entrückt fiel sie uns fast in die Arme – aber sie hatte uns verwechselt: Wir waren Kennengelernte, offenbar keine Eingeladenen, auf die man zu zählen hat, nun in fester Position. Und wer da alles war, herrlich. Ein reiner Branchentreff. Wie in Frankfurt beim Stehempfang, in Mainz beim ZDF-Fernsehspieltag, beim Weihnachtsfest des RBB. Und Mariella sagte: „Super, ich freu mich so sehr über euch …“

Wir haben ihr anstandslos geglaubt. Sie hatte es immer schwer. Sie braucht jeden. Sie will Geburtstag feiern – und zeigen, dass es sie noch gibt, jetzt erst recht. Sie ist angekommen, sie braucht keine Freunde mehr, denn sie hat KollegInnen, die etwas von ihr wollen. Nur eines verriet sie noch als einst Mühselige. Das war, als sie ausrief: „Die ersten zwei Getränke gehen auf mich – nun wollen wir feiern.“

Fragen zur intimen Feier? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN