„Die USA sind auf dem rechten Auge blind“

Auch in den USA gibt es täglich rassistische Übergriffe. Doch als nationales Problem versteht das kaum jemand. Denn es widerspricht dem Selbstbild der Vereinigten Staaten von einer liberalen, aufgeklärten Gesellschaft

taz: Herr Levitas, US-Amerikaner schauen, wie kürzlich nach dem Überfall in Potsdam, entsetzt auf den Rassismus in Europa mit dem Gefühl: „So etwas gibt es zum Glück bei uns nicht.“ Zu Recht?

Daniel Levitas: Nein, genau das Gleiche passiert bei uns jeden Tag. Fast zur gleichen Zeit wie in Potsdam wurde in Texas ein junger Latino von Skinheads fast zu Tode geprügelt, weil er auf einer Party angeblich ein weißes Mädchen hatte küssen wollen. Außer in der Houstoner Regionalzeitung war das fast nirgendwo ein Thema.

Warum werden rechte Übergriffe so selten auf nationaler Ebene diskutiert? Weil es dem Selbstbild der Gesellschaft widerspricht?

Ja. Viele US-Bürger halten beharrlich an der Idee fest, dass wir unsere Rassenprobleme gelöst hätten und in einer grundsätzlich toleranten Gesellschaft leben. Allerdings wird dem Extremismus hier langsam mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Es gab so spektakuläre Fälle wie den des jungen Schwarzen James Byrd, der von der Ladefläche eines Pick-ups gezogen und gelyncht wurde. Oder Matthew Shepperd, einem jungen schwulen Studenten aus Wyoming, der zusammengeschlagen und dann an einem Zaun aufgehängt wurde.

Die Öffentlichkeit reagiert aber gelassen, wenn Arnold Schwarzenegger sich positiv über die Minutemen, also die selbst ernannten Grenzwächter im Süden der USA, äußert. Warum?

Ich fürchte, weil viele in den USA positiv über die Minutemen denken, obwohl sie Immigranten, die die Grenze zu den USA illegal übertreten, gezielt umbringen. Das ist zutiefst beunruhigend.

Haben die rechten Bewegungen in den USA und Europa Gemeinsamkeiten?

Viele meinen, die USA würden stets ihre Kultur exportieren. Aber es waren die Briten, die uns die Skinheads bescherten. 1986 gab es rund 300 Skinheads in den USA, heute gibt es um die 5.000 gewaltbereite Skins. Als in Rostock-Lichtenhagen das Asylheim brannte, gab es in den USA noch keine Minutemen, heute sind es tausende. Oder das, was wir „white power music“ nennen, also rechte Musikbands, sind eine europäische Erfindung, die bei uns jetzt populär wird. Ich habe lange davor gewarnt, dass diese Phänomene auch zu uns in die USA rüberschwappen werden. Aber das hat bislang kaum interessiert.

Können die USA denn von Europa lernen, wie man diese rechtsextremen Trends bekämpft?

Das ist eine schwierige Frage. Ich kenne keine Regierung, die rechte Bewegungen erfolgreich bekämpft. Was wir auf keinen Fall von Europa übernehmen können, sind die Einschränkung der Kommunikationsmöglichkeit der rechten Szenen und des Rechts auf freie Meinungsäußerung etc. Da haben wir einfach andere rechtliche Grundlagen. Nach dem 11. September 2001 gibt es allerdings ein viel restriktiveres Klima als zuvor.

Hat die Bush-Administration mit ihrer Schwerpunktsetzung auf Terrorbekämpfung und ihrer starken Anbindung an die konservativ-evangelikale Bewegung die nötige Aufmerksamkeit für die erstarkende rechte Szene?

Die einzigen Bewegungen, denen das FBI und der Heimatschutz wirklich Beachtung schenken, sind die Tierschützer und die so genannten Ökoterroristen. Das FBI hält Ökoterroristen für eine wirklich große Gefahr. Das ist völlig lächerlich – wenn man darüber nachdenkt, sogar ein bisschen gruselig.

Wann hat die rechte Szene der USA an Relevanz gewonnen?

Mit der Entstehung der Bürgermilizen. Die generierten ihre Kraft aus zwei Motiven heraus. Zum einen aus einer Opposition gegen „Gun-Control“, also die bescheidenen Schritte zur Einschränkung des privaten Waffenbesitzes, die Clinton unternahm. Die Bürgerwehren haben sehr erfolgreich die Ängste der Bevölkerung instrumentalisiert, von einer liberalen und internationalistisch gesinnten Regierung entwaffnet zu werden – und diese mit einer wachsenden isolationistischen Stimmung in den USA verquickt.

Was nützt gegen die rechtsextremen Bewegungen?

Ich bin überzeugt, dass die Gesellschaften die Migranten vollständig in die Staatsbürgerschaft integrieren müssen. Aus den Nationalstaaten müssen multiethnische Staaten werden und die Bürger müssen verstehen lernen, dass das sogar die Voraussetzung dafür ist, wie sie als Briten, Franzosen und Deutsche überleben können. Auch wenn den Europäer das schwer fällt.

Aber die USA sind ein multiethnischer, multikultureller Staat – und trotzdem haben sie diese Probleme.

Uns würde ich das gleiche Rezept verschreiben. In zehn Jahren werden die USA sonst noch zerrissener sein als heute.

INTERVIEW:

ADRIENNE WOLTERSDORF