„Ein psychischer Ausnahmezustand“

Pakistanischstämmiger Student starb in Untersuchungshaft. Er hatte den Chefredakteur der „Welt“ angreifen wollen – wegen Abdrucks der Mohammed-Karikaturen. In Pakistan Zweifel an Selbstmord. Deutsche Muslime befürchten Dialog-Rückschritt

AUS BERLIN ALKE WIERTH

Er war eigens aus Mönchengladbach nach Berlin angereist, um zu tun, was er für seine Pflicht als Muslim hielt. Am 20. März war der aus Pakistan stammende Student Amir Cheema im Gebäude des Axel-Springer-Verlags in Berlin festgenommen worden. Dort war er, mit einem Messer bewaffnet, eingedrungen, um nach eigener Aussage den Chefredakteuer der Tageszeitung Die Welt, Roger Köppel, anzugreifen. Die Welt hatte neben anderen Zeitungen – darunter auch die taz – die dänischen Mohammed-Karikaturen abgedruckt, die von vielen Muslimen als beleidigend empfunden worden waren.

Mittwoch vergangener Woche wurde der 28-Jährige, der seit dem Vorfall in Untersuchtungshaft saß, tot in seiner Zelle in Berlin-Moabit aufgefunden. Er soll sich mit einer aus eigenen Kleidungsstücken gefertigten Schlinge am Fenstergitter erhängt haben, so die Behörden. Sein Vater erhebt Medienberichten zufolge schwere Vorwürfe: Amir sei in der Untersuchungshaft gefoltert worden. In Pakistan führte das Gerücht, der Student sei an den Folgen solcher Folterungen verstorben, gestern zu Demonstrationen und Protesten. Die pakistanische Regierung soll von der deutschen eine Untersuchung des Falls gefordert haben.

Vertreter deutscher muslimischer Verbände reagierten erschüttert auf die Nachricht des nun erst bekannt gewordenen versuchten Angriffs auf den Welt-Chefredakteur und den Tod des Täters. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Ayyub Axel Köhler, befürchtet: „Solche Ereignisse werfen uns zurück.“ Die deutschen Muslime hätten sich im Karikaturenstreit besonnen und „wie normale Staatsbürger“ verhalten, so Köhler. Dies sei auch in der Bundestagsdebatte um die Mohammed-Karikaturen gewürdigt worden. Nun sieht er die Bemühungen um Verständigung und friedliche Diskussion gefährdet. „Dies zeigt uns, dass wir weiter daran arbeiten müssen, gewaltvolle Entladungen von Gefühlen zu verhindern“, so Köhler. Man könne jedoch nicht ausschließen, dass „irgendjemand in einem psychischen Ausnahmezustand sich hinreißen lässt, eine kriminelle Tat zu vollbringen“. Deutsche Muslime lehnten aber Gewalt ab. „Wir wollen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über das Verhältnis zwischen der von uns bejahten Presse- und Meinungsfreiheit und dem Thema Verantwortung“, so Köhler.

Ein „Intrigenspiel“ vermutet Hadayatullah Hübsch, Sprecher der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland, hinter der Tat und dem Tod des pakistanischen Studenten. Der junge Mann habe „wahrscheinlich ein Fanal setzen wollen“, so Hübsch: „Er wusste, dass, wenn er sich umbringt, die Gerüchteküche kochen würde.“ Die Ahmadiyya, deren Mitglieder selbst überwiegend aus Pakistan stammen, gelten der Mehrheit der Muslime dort als Abweichler, da sie einen muslimischen Gelehrten aus dem 19. Jahrhundert als Messias betrachten. Viele pakistanische Ahmadiyya haben deshalb in Deutschland Asyl.

Als „Fanatiker, fehlgeleitet in seinem religiösen Wahn“ betrachtet Hübsch den Studenten, der in Berlin die Veröffentlichung der Karikaturen rächen wollte. Im Koran gebe es keinerlei Rechtfertigung für solche Taten. Auch er befürchtet negative Folgen für die in Deutschland lebenden Muslime: „Es ist der Kardinalfehler vieler deutscher Medien“, so Hübsch, „dass sie der Öffentlichkeit die Meinung der Islamisten als Meinung der Muslime verkaufen.“ Nun werde es erneut eine Debatte über den „gefährlichen und fanatischen Islam“ geben, fürchtet Hübsch.

Auch Burhan Kesici, Sprecher der Islamischen Föderation Berlin, verurteilt den versuchten Angriff auf den Journalisten Köppel: „Eine solche Tat kann nicht akzeptiert werden.“

In Berlin sei der Protest gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen gewaltfrei und „eher intellektuell“ geäußert worden, so Kesici. Berliner Muslime hatten mit mehreren friedlichen Demonstrationen gegen die Veröffentlichung der Karikaturen protestiert.

Der tote pakistanische Student Amir Cheema soll nach Auskünften der Berliner Staatsanwaltschaft heute im Beisein eines Richters obduziert werden.