„Fest ist ein Verhängnis“

Joachim Fest erhält heute in Hamburg den Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk. Der Historiker Hannes Heer kritisiert die Verleihung, da Fest eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus behindert habe

taz: Wofür steht der Preisträger Joachim Fest in Ihren Augen?

Hannes Heer: Bis vor zwei Jahren gab es nur den Egon-Erwin-Kisch-Preis für Reportagen, benannt nach dem jüdischen kommunistischen Vorzeigejournalisten, den die Nationalsozialisten ins Exil trieben. 2005 trat der neue Henri-Nannen-Preis in den Vordergrund, in dem der Kisch-Preis nur noch eine von sieben Kategorien ist. Damit wurde ein Paradigmenwechsel vollzogen. Statt um kritischen geht es jetzt um „anspruchsvollen Print-Journalismus“. Dass Fest der zweite Preisträger ist, unterstreicht die veränderte Zielsetzung.

In der Begründung heißt es, Fest habe „wesentliche Anstöße zur Auseinandersetzung“ gegeben, die ein Begreifen der Geschichte ermöglichten. Richtig?

Fest hat zu wesentlichen Auseinandersetzungen geführt, das kann man wohl sagen. Er ist 1973 mit einer vieldiskutierten Hitler-Biografie bekannt geworden. Er hat 1977 einen Hitler-Film gemacht, der zu heftigen Protesten führte. 1986 war er der Wortführer des Historikerstreits und hat 1999 eine umstrittene Biografie zu Albert Speer vorgelegt. Diese von ihm provozierten Auseinandersetzungen waren von der Intention bestimmt, die Deutschen von der historischen Verantwortung zu entlasten.

Beginnt die Geschichtsverklärung schon mit der Hitler-Biografie?

Die Hitler-Biografie enthält noch einen produktiven Ansatz, der den Nationalsozialismus auch als ein System darstellt das bei Millionen von Deutschen Faszinationen und Hoffnungen auslöste. Allerdings erliegt Fest selber dieser Faszination: Hitler ist für ihn eine „große weltgeschichtliche Persönlichkeit“, in der sich „Geschichte verdichtet“, und für den die normalen moralischen Maßstäbe nicht gelten.

Als Kulturchef der FAZ beginnt Fest 1986 den Historikerstreit, indem er den Beitrag von Ernst Nolte veröffentlicht …

Nolte stellte den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus als eine Reaktion auf den Bolschewismus dar. Fest hat diese Thesen übernommen und zugespitzt: Das deutsche Auschwitz ist nichts anderes als die Kopie der sowjetischen Gulags, es unterscheidet sich nur durch eine technische Neuerung – die Gaskammer. Und er hat diese These mit einem Angriff auf die „linke“ Gesinnungsdiktatur der Bundesrepublik verbunden. Habermas und die intellektuellen Wortführer seien verblendete Anhänger einer längst gescheiterten Aufklärung. Ihr Bild vom Nationalsozialismus sei Mythologie und keine Geschichte. Der amerikanische Historiker Charles S. Maier hat den Streit so bilanziert: Fest und Nolte hätten Thesen vertreten, die man bis dahin nur bei Rechtsextremen gefunden habe.

In den 1960er Jahren half Fest Adolf Hitlers Architekten Speer beim Verfassen seiner Werke. In dem Film „Speer und Er“ von Heinrich Breloer 2005 räumt er aber Fehler ein.

Es ist ja kein Zufall, dass Speer Fest als Ghostwriter ausgesucht hat. Fest hatte schon in seiner ersten Veröffentlichung 1963 den Typus weiterentwickelt, den Speer beim Nürnberger Prozess so effektvoll präsentiert hatte – den Typ des unpolitischen Technokraten. Schon in den 1960er Jahren erschien das große Werk von Raul Hilberg über die Ermordung der europäischen Juden, in dem Speer immer wieder erwähnt wird. In den 1970er und 1980er Jahren folgten Arbeiten, die Speers Verantwortung bei der „Entjudung“ Berlins, das heißt bei der Deportation von 7.000 Berliner Juden, belegten. Und in den 1990er Jahren wurde Speers Rolle beim Ausbau des KZ-Systems und seine Beteiligung am Judenmord offen gelegt. Doch Fest macht in seiner Speer-Biografie von 1999 nichts anderes, als sein Bild und seine Rolle als Mitverantwortlicher für Speers „Erinnerungen“ und „Spandauer Tagebücher“ gegen diese wissenschaftlichen Funde zu verteidigen. Er tut das, indem er Befunde verschweigt, manipuliert und verfälscht. Revidiert hat er seine Positionen nicht. In dem Film ist das bloß eine Reaktion.

Ist Speer der ideale Typ zur Entlastung der Deutschen?

Fest hat selber in einer seiner seltenen selbstkritischen Anwandlungen festgestellt, dass Speer eine „Entlastungsfigur“ für die Deutschen ist. Wenn Hitlers Vertrauter, der Kriegs- und Rüstungsminister, nichts gewusst haben will, dann ist jeder Deutsche, der an weniger prominenter Stelle die Politik des NS-Regimes unterstützt hat, erst recht aus dem Schneider. Für mich ist Fest weniger ein Historiker als ein Geschichtspolitiker, und zwar der einflussreichste der Bundesrepublik. Fest ist ein Verhängnis, dessen Geschichtslegenden eine wirkliche Anerkennung von Schuld und Verantwortung massiv erschwert haben. Dass er als 80-Jähriger jetzt Triumphe feiert, beschreibt, wo die Bundesrepublik und deren publizistische Eliten stehen.Fragen: Andreas Speit