Die falschen Kinder
: KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Das Erstaunen ist mal wieder groß. Kinder von Einwanderern haben in Deutschland schlechtere Chancen als in jedem anderen untersuchten Land. Wortreich beklagen Deutschlands Bildungspolitiker die deprimierenden Resultate der neuen Pisa-Studie. Mehr als bedrückend sei sie, findet die Integrationsbeauftragte.

Erfahrungsgemäß bleiben solche Aussagen folgenarm – ganz im Gegensatz zu jenem Eifer, mit dem die Bundesregierung die deutschen Akademiker durch das neue „Elterngeld“ zu mehr Kinderreichtum animieren will. Das merkwürdige Missverhältnis offenbart, worum die demografische Debatte eigentlich kreist. Nicht um zu wenige Kinder geht es im Kern, sondern um die angeblich falschen Kinder. Weil das deutsche Bildungssystem nicht imstande ist, dem Nachwuchs von Einwanderern oder aus der heimischen Unterschicht zu angemessenen Bildungschancen zu verhelfen, soll sich die akademische Bildung lieber auf dem biologischen Wege fortpflanzen.

Dabei ist längst erwiesen, dass Gesellschaften mit einem hohen Anteil von Bildungsaufsteigern dynamischer sind als vormoderne Gemeinwesen, in denen sich die sozialen Milieus selbst reproduzieren. Weil Angehörige des akademischen Standes ihre Kinder aber ungern an die Werkbank schicken, ist die relative Kinderarmut der oberen Gesellschaftsschichten, historisch ein Merkmal aller entwickelten Zivilisationen, geradezu die Voraussetzung für soziale Durchlässigkeit. Die Plätze auf dem Oberdeck sind sonst alle schon belegt, wenn die neuen Passagiere von unten zusteigen.

Bislang ist die Integrations- und Bildungsdebatte zu sehr mit Abwehrreflexen behaftet. Es geht um „Brennpunkte“, die „entschärft“ werden sollen, um künftige „Sozialfälle“, deren Entwicklung man „verhindern“ muss. Das ist schon im Ansatz falsch gedacht. Stattdessen muss endlich ins Bewusstsein dringen, dass es den Nachwuchs längst schon gibt, den die Bundesregierung mittels Elterngeld erzeugen will. Es kommt darauf an, ob man ihn fördert wie in erfolgreicheren Pisa-Ländern – oder ob man diese Chance vergibt wie an den vielen Rütli-Schulen dieser Republik.