„Ich bin gegen Gleichmacherei“

Wenn die Länder dank Föderalismusreform für den Strafvollzug zuständig sein werden, bauen sie Billiggefängnisse und pferchen Gefangene in kleinen Zellen zusammen, fürchtet der Kriminologe Christian Pfeiffer

taz: Herr, Pfeiffer, was spricht dagegen, dass künftig die Bundesländer eigene Gesetze über den Strafvollzug beschließen?

Christian Pfeiffer: Dieser Vorschlag der großen Koalition führt zu unwürdigen Billiggefängnissen und öffnet dem Populismus Tür und Tor. Ich kenne keinen Strafwissenschaftler und keinen Anstaltsleiter, der diese Reform befürwortet. Das wird hoffentlich auch die heutige Anhörung im Bundestag ergeben.

Was befürchten Sie bei Billiggefängnissen?

Wir haben eine massive Überbelegung der Haftanstalten, weil seit Anfang der 90er-Jahre immer mehr Straftäter zu immer längeren Haftstrafen verurteilt werden, obwohl die Kernkriminalität stark zurückgeht. Dadurch sind im Strafvollzug vermeidbare Mehrkosten in Milliardenhöhe entstanden. Das Geld muss dann an den Haftstandards eingespart werden. Aus diesem Grund wollen die Länder die Gesetzgebungsbefugnis haben.

Wo drohen konkrete Einsparungen?

Ein Beispiel: In neu gebauten Gefängnissen haben Gefangene derzeit Anspruch auf eine Einzelzelle. Diesen Anspruch würden die Länder sicher sofort streichen. Aber wenn die Länder glauben, sie könnten so die Doppelbelegung durchsetzen, dann träumen sie nur vor sich hin. Das Bundesverfassungsgericht wird das nicht zulassen.

Bisher hat Karlsruhe vor allem die mangelnde Intimsphäre in alten Haftzellen ohne abgetrenntes WC kritisiert. Die bloße Doppelbelegung einer Zelle wurde nicht moniert.

Ich bin mir sicher, dass die Verfassungsrichter nicht akzeptieren werden, wenn Gefangene zu zweit auf acht Quadratmetern zusammengepfercht leben müssen. Das verletzt nicht nur die Menschenwürde. Aus dem Ausland wissen wir auch, dass solche Verhältnisse große Risiken für die Gefangenen mit sich bringen. Wenn der erste Häftling in seiner Zelle totgeschlagen wurde, wird man sehen, dass es so nicht geht.

Wenn die Länder gar nicht wie erhofft sparen können, was bringt ihnen die Reform?

Landesminister könnten sich als Gesetzgeber profilieren, können sich einbilden, sie hätten mehr Macht, mehr Gestaltungsmöglichkeiten. In Wahrheit geraten sie aber dadurch in die Populismusfalle.

Sind Landesminister populistischer als Bundespolitiker?

Die Verhältnisse zwingen sie dazu. Ich habe ja als Landesminister selbst erlebt, unter welchem Druck man sofort steht, wenn ein Gefangener auf Urlaub ein Verbrechen begeht. Ich habe es deshalb als sehr wohltuend empfunden, dass wir als Landesgesetzgeber nicht einfach den im Bundesgesetz geregelten Hafturlaub abschaffen konnten. Der Hafturlaub ist viel zu wichtig für die Resozialisierung von Gefangenen.

Die Unterschiede zwischen den Ländern sind derzeit schon erheblich. In Berlin sind über 30 Prozent der Gefangenen im offenen Vollzug, in Bayern nur knapp acht Prozent. Wäre es da nicht besser, wenn der Bund die Gefängnisse auch verwalten würde?

Nein, die Verwaltungszuständigkeit sollte bei den Ländern bleiben. Das hat sich bewährt. Da kann sich sogar ein Wettbewerb im positiven Sinne entwickeln, wenn etwa ein mutiges Land wie Schleswig-Holstein seinen eigenen Kurs fährt und dafür mit den niedrigsten Vollzugskosten belohnt wird. Wer weniger inhaftiert und konsequent auf Resozialisierung setzt, spart am Ende sogar. Ich bin durchaus für Vielfalt und gegen Gleichmacherei.

Hat sich das Strafvollzugsgesetz des Bundes bewährt?

Es hat sich im Prinzip bewährt, aber es ist auch alt geworden. Immerhin gilt es schon seit 1976. Ich räume ein, dass es sich lohnen würde, das Gesetz in einer Kommission von Bund und Ländern mal Paragraf für Paragraf durchzugehen.

Was würden Sie ändern?

Manche Vorschriften sind noch Ausdruck der großen Euphorie der 70er-Jahre, als man dachte, jeder Mensch ist änderbar. So heißt es im Gesetz, der offene Vollzug, bei dem Häftlinge tagsüber außerhalb des Gefängnisses arbeiten, sei die Regel, und der geschlossene Vollzug die Ausnahme. Aber das hat mit der Praxis nichts mehr zu tun und sollte geändert werden.

Am Ziel der Resozialisierung soll aber festgehalten werden?

Natürlich.

Was empfehlen Sie, falls künftig doch die Länder für die Strafvollzugsgesetze zuständig sind?

Dann sollten die Länder sich schnell auf einen einheitlichen Mustergesetzentwurf einigen. Dieser könnte dann mehr oder weniger einheitlich von den Landesparlamenten verabschiedet werden.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH