Ehrenmorde – ein türkisch-deutsches Problem

Die beiden Länder müssen gemeinsam gegen Gewalt an Frauen kämpfen, sagen Politikerinnen aus der Türkei

Deutsche haben „hohe Sensibilität“ im Umgang mit dem Thema Ehrenmord

BERLIN taz ■ Der soziale Status von Frauen muss verbessert und der Allmachtsanspruch von Männern bekämpft werden, um Ehrenmorde und Gewalt an Frauen zu verhindern. So lautete gestern das Fazit der türkischen Abgeordneten Fatma Sahin nach mehrtätigen Gesprächen in Deutschland. Solche Taten seien ein gemeinsames Problem Deutschlands und der Türkei, das auch gemeinsam gelöst werden müsse.

Die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses für Ehrenmorde des türkischen Parlaments besuchte auf Einladung der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD) PolitikerInnen, JuristInnen, Frauenprojekte und Migrantenorganisationen in Berlin. Begleitet wurde sie dabei unter anderem von der UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, Yakin Ertürk.

Auslöser für den Besuch war der Ehrenmord an der türkischstämmigen Berlinerin Hatun Sürücü. Die junge Frau war wegen ihres modernen Lebensstils von ihrem Bruder ermordet worden. Im April ist der Täter zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt worden. Seine der Tatbeteiligung beschuldigten Brüder wurden mangels Beweisen freigesprochen.

In der Türkei ist die Bestrafung von Ehrenmorden kürzlich verschärft worden. Das früher als strafmindernd bewertete Mordmotiv Ehre gilt nun als strafverschärfend. Höchststrafe ist lebenslängliche Haft. Auch Anstifter eines Ehrenmordes können verurteilt werden. 1.190 Menschen fielen in der Türkei in den letzten fünf Jahren Ehrenmorden zum Opfer. 780 davon waren Männer. In Deutschland gab es laut gestern vom BKA veröffentlichten Zahlen zwischen Januar 1996 und Juli 2005 55 Fälle von als Ehrenmorden eingestuften Morden und Mordversuchen, 36 der 48 Opfer waren Frauen.

Ursache für solche Taten sei nicht ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, sagte Fatma Sahin gestern. Die in der Türkei erhobenen Zahlen hätten gezeigt, dass Ehrenmorde nicht nur in bestimmten Bevölkerungsgruppen vorkämen. UN-Berichterstatterin Ertürk wies auf die hohen Zahlen von Gewalttaten gegen Frauen auch in nichtmuslimischen Ländern hin. Selbst in Deutschland hätte ein Viertel aller Frauen häusliche Gewalt erlebt, so Ertürk. Unter den Migrantinnen sei es jede zweite.

Die Ursachen dafür seien soziale und ökonomische Unsicherheit. Vor allem Probleme, die aus der Migration von ländlichen in städtische Gebiete resultieren, machten die beiden Expertinnen für Gewalt und Ehrenmorde verantwortlich. Auch in der Türkei gibt es Integrationsprobleme mit dörflichen Neuzuwanderern in den großen Städten.

„Wir müssen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen verbessern und dafür sorgen, dass sie einen höheren sozialen Status bekommen“, so Fatma Sahin. Vor allem sei wichtig, die Einstellungen von Männern zu verändern: „Männer sind nicht Wächter und Herrscher über den Körper der Frau“, sagte die Abgeordnete der religiösen türkischen Regierungspartei AKP.

Die türkische Delegation attestierte ihren deutschen Gesprächspartnern eine „hohe Sensibilität“ im Umgang mit dem Thema Ehrenmorde. Frauen, die sich wehren wollten, fänden in Deutschland viel Unterstützung, meinte UN-Berichterstatterin Ertürk. Im Herbst soll eine deutsche Delegation zu einem Gegenbesuch in die Türkei fahren. ALKE WIERTH