Unser Mann in Istanbul

Der Oud-Spieler und Elektronik-Frickler Jean-Pierre Smadja ist ein Mittler zwischen den Welten. Mit dem DuOuD rockte er den Jemen, mit seinem SOS-Projekt taucht er in die türkische Musik

Von MARC WILHELM

Jean-Pierre Smadja alias Smadj zählt zu jenen Franzosen, die aus dem Maghreb stammen. Anders als viele Einwanderer der zweiten Generation hatte er aber das Glück, nicht in den tristen Vororten von Paris zu stranden. „Ich kam mit meinen Eltern als kleiner Junge nach Paris“, erinnert er sich, „aber fühlte mich dort nie von der arabischen Kultur abgetrennt. Durch häufige Besuche in der Heimat haben wir immer den Kontakt aufrechterhalten.“

Trotzdem interessierte er sich als Teenager zuerst fürs Fingerpicking auf der akustischen Gitarre. „Chet Atkins und sogar Cat Stevens waren meine Idole“, gesteht er. „Bis ich dann als 13-Jähriger ein Oud bekam.“ Bald darauf wurden er und die arabische Laute, auf der er seinem Vorbild Rabih Abou-Khalil nacheiferte, unzertrennlich. Doch erst in dem algerischen Musiker Mehdi Haddab, der ebenfalls in Paris lebt und dort Teil des Ethnotrios Ekova war, fand Smadj einen Lehrer, mit dem er wirklich zufrieden war. Die Partnerschaft wuchs sich zur Symbiose aus: Denn Haddab und Smadj, der tief in die französische Drum-’n’-Bass-Szene eintauchte, entwickelten unter dem Namen DuOuD eine wegweisende, elektroakustische Sprache. Ihre Mission: die Virtuosität der Laute mit cleverem Programming zu vermählen. Diese Idee ist mittlerweile für eine neue Generation von Oud-Spielern wegweisend geworden.

Dass sich die beiden für ihr Album „Sakat“ nun einen dritten Oud-Spieler ins Boot geholt haben, der zudem auch noch als herausragender Sänger einer arabischen Vokaltradition gilt, haben sie dem französischen Kulturzentrum in Sanaa zu verdanken: „Sanaa war 2004 die Kulturhauptstadt der arabischen Welt, und eine der internationalen Künstlerresidenzen dort wurde an uns vergeben“, sagt Smadj. „Wir haben die Chance genutzt, mit dem Sänger Abdulatif Yagoub und anderen Musikern ein Repertoire erarbeitet und das Publikum dort auch mit unserem DuOuD-Programm konfrontiert.“ Der Jemen ist kulturell sehr abgeschottet, und es war nicht klar, ob die Reaktion positiv ausfallen würde. „Doch nur ein paar westliche Intellektuelle haben bisher die Nase darüber gerümpft. Das hat uns ermutigt, einen Schritt weiter zu gehen.“

Zurück in Paris, jagte Smadj die Aufnahmen aus Sanaa durch sein Studioequipment und schuf so eine neue, tranceartige Fusion. Als Basis dienten ihm die nasalen, kreisenden Gesänge Yagoubs, deren jahrhundertealte Poesie bildgewaltig von den Düften der Steppe und schöner Frauen sprechen, von üppigen Früchten und Liebesschwüren. Sie erinnert fast ein wenig an die Metaphern aus dem Hohelied Salomons. Dazu treten Schalmeien, Percussion und ein sehr metallenes Oud-Spiel, das sich im Jemen mehr als in anderen arabischen Ländern am Gesang orientiert.

Zwischenrein hat Smadj sogar die Trompete des Jazzers Erik Truffaz gepuzzelt. „Ich sehe diese Platte als eine Chance für den Jemen, ein Fenster in Richtung Westen zu öffnen“, bekennt Smadj nicht ohne Stolz. „Und dieses Ziel verfolge ich auch mit meinen türkischen Projekten. Für mich ist es unbegreiflich, dass es in der türkischen Musik so viele herausragende Künstler gibt, die in Europa kaum bekannt sind. Dabei könnten wir viel von der Türkei lernen. Dort wird die Tradition an den Universitäten noch an eine junge Generation weitergegeben, und Romamusiker lehren an den Hochschulen“, schwärmt Smadj, der sich selbst leicht ironisch als „lebender Brückenkopf zwischen Paris und Istanbul“ bezeichnet. „Wenn ich mir aber die Konservatorien in der arabischen Welt anschaue: Viele sind dem Verfall preisgegeben. Junge Araber scheinen wenig Interesse daran zu haben, ihre alte Musik zu studieren“, stellt er bedauernd fest.

Es war der Percussionist Burhan Öçal, der Smadj den Anstoß gab, sich einmal am Goldenen Horn umzuschauen: Öçal bestellte den Frankotunesier zu sich, um die Romamusik seines Trakya-All-Stars-Projekts elektronisch aufzupeppen. Auch auf Öçals letztem Album mit klassischen türkischen Liedern setzt er mit pompösen Beats Dancefloor-Akzente im sinfonischen Sound. „Es war aber eine Frau, die letztlich schuld an meiner endgültigen Übersiedlung nach Istanbul war“, bekennt Smadj. „Und diesen Wechsel in meinem Leben feiere ich nun mit meinem Projekt SOS.“

Die Initialen setzen sich zusammen aus Smadj, Orhan und Savaz: Orhan Osman ist ein Busuki-Spieler, der in Deutschland geboren ist und in Griechenland aufwuchs und den Smadj beim Jammen in einer Taverne kennen gelernt hatte; den Klarinettisten Savaz Zurnacý dagegen lockte er von den Trakya All Stars hinüber. „Monatelang habe ich nichts anderes als türkische Musik gehört, die Essenz herausgefiltert und eine eigene folklore imaginaire à la Smadj geschaffen, das traditionelle Timbre mit meiner elektronischen Sprache verbunden“, erzählt Smadj. „Klar, die Türken sind so vertraut mit ihrer Musik, dass sie natürlich sofort gemerkt haben, dass die Melodien alle selbst erfunden sind. Aber eine Hommage an den großen Sänger Zeki Müren habe ich auch auf der Platte versteckt“, freut er sich.

Smadj fühlt sich gut aufgehoben am Bosporus. „Nach den langen Wanderjahren habe ich hier meinen Frieden gefunden. Die Warmherzigkeit der Leute, die Sessions in den Kneipen – das ist sehr anregend. Eine Menge Projekte rotieren in meinem Kopf“, sagt Smadj. Er lebt im Boheme-Viertel Beyoglu auf der europäischen Seite, dass in letzter Zeit so in Mode gekommen ist. Und sicher wird der Frankotunesier mit dazu beitragen, dass Istanbul noch ein Weile lang hip bleiben wird.