Das Schachwunder von Bremen

Eine kleine Grundschule bringt Jahr für Jahr kleine Schach-Genies hervor. Schon zum zweiten Mal wurden die Bremer nun deutsche Schülermeister. Ein Erfolg, der Methode hat

Die älteren Schulkinder geben die „Besessenheit“ an ihre Geschwister weiter

von Klaus Wolschner

Ist der letzte Kick angeboren oder kann er erlernt werden, diese pädagogische Grundfrage scheint geklärt: Die Grundschule am Baumschulenweg ist eine ganz normale Grundschule. Und doch gelingt es ihr, Jahr für Jahr neue Schachmeister zu produzieren. Zum zweiten Mal hintereinander sind die Kinder aus Bremen Deutsche Meister im Grundschulschach-Wettbewerb geworden. „Wir haben das Double geschafft“, schrieben die drei Schachlehrer stolz unter ihre Mitteilung, und gestern versammelten sich die 300 Schulkinder, um „ihren“ Meistern das Erfolgslied vorzusingen: „Wir sind stolz auf Euch, ihr seid für uns die Größten.“

Dass die Kinder vom Baumschulenweg jedes Mal die Bremer Landesmeisterschaften in ihrer Altersgruppe gewinnen, steht seit Jahren fest. Normal ist es auch, dass die Bremer Grundschüler in der nächst höheren Altersgruppe antreten und gegen die Schachspieler aus den Eingangsklassen der Gymnasien den ersten Platz machen. Als vor zwei Monaten die Schüler des Gymnasiums Kippenberg bei den Bremer Schachschul-Meisterschaften in der Gruppe der Mittelstufe die Sieger wurden, staunte niemand. „Klar“, sagt Schachlehrer Helmut Geils vom Baumschulenweg, „das waren unsere Ehemaligen.“

Als Lehrer Helmut Geils ihr vor nunmehr 13 Jahren mitgeteilt habe, er wolle eine Schach-AG an der Grundschule aufmachen, sei sie eher skeptisch gewesen, gestand gestern bei der Meisterschaftsfeier Schulleiterin Julie Kohlrausch. Denn die Schule sollte doch das Profil „naturnahe Bildung“ entwickeln. Für ihr Hühnerprojekt erhielt die Schule, nebenbei bemerkt, im vergangenen Jahr einen Bundespreis. Als die Schulleiterin ein paar Jahre später bei der Behörde für ihren engagierten Schach-Lehrer Entlastungsstunden beantragte, bekam sie eine gepfefferte Absage. 1997, erinnert sich Helmut Geils, wurden „seine“ Kinder Bremer Meister, schmierten aber bei dem bundesweiten Wettbewerb noch mit Platz 31 ab. Doch dann arbeiteten sich die Kinder vom Baumschulenweg nach vorn, Schülergeneration für Schülergeneration. „Man muss einfach schachbessen sein“, erklärt Geils die Ausstrahlungskraft seines Engagements.

Dazu kam, dass Werder Bremen auf die Grundschule aufmerksam wurde und die Besten in seine Schach-Gruppen aufnahm. Heute ist diese Grundschule die wichtigste Quelle für den Nachwuchs in der Schach-Abteilung von Werder.

Es gibt vor allem eines, was diese Grundschule von anderen unterscheidet: Die Schach-AGs beginnen in der ersten Klasse. „Wir haben inzwischen regelrechte Schach-Familien“, erzählt die Schulleiterin stolz – bei der Anmeldung fragen die Kleinen nicht, wann sie Englisch haben und Fußball spielen können, sondern wann die Schach-AG stattfindet. Die älteren Schulkinder geben die „Besessenheit“ an ihre Geschwister weiter. Und in der dritten Klasse haben diese Kinder einen Vorsprung, den andere schwer aufholen können. Übrigens sind auch Kinder mit Migrationshintergrund gut dabei – in den Schach-AGs sind sie meist überrepräsentiert.

Hundert der 300 Kinder der Grundschule spielen heute in den Schach-AGs, die Pokale stehen im Schulflur und die große Vitrine ist randvoll. Und das ist kein Spleen, weil, beeilen sich die Schachlehrer zu betonen, das Schachspiel ungeheuer die Konzentration fördere. Bei den bundesweiten Meisterschaften spielen die 10 bis 12-jährigen Kinder Partien von einer vollen Stunde, und das über drei Tage. Kein Wunder, dass einer der kleinen Schach-Meister auch in der Mathe-Olympiade den ersten Preis gewonnen hat. Konzentration, strukturiertes Denken, Ehrgeiz und „Teamgeist“ braucht man eben nicht nur am Brett.

Die drei pädagogischen Betreuer des Schachwunders würden am liebsten ein Pilotprojekt auf die Beine stellen, in dessen Rahmen Schach als festes Schulfach etabliert werden könnte. Inzwischen gibt es wenigstens im Rahmen der Ganztagsschule mehr Spielraum für Schach. Aber bei der Finanzierung der Schachlehrer bleibt der Schule immer noch nichts übrig, als zu improvisieren – trotz des bundesweiten Erfolgs.