no-brain-areas von HARTMUT EL KURDI
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Ausgerechnet Bundesinnenminister Schäuble, der nach dem Angriff auf Ermyas M. die Rassisten-Community mit der die Nazi-Gewalt relativierenden Feststellung erfreute, auch blonde und blauäugige Menschen würden Opfer von Gewalttaten, verkündete vorgestern, man dürfe keine „No-go-areas“ für dunkelhäutige Menschen in Deutschland dulden. Aber nicht, dass er da „missverstanden“ werde: Diese Betreten-verboten-Gebiete gebe es ja gar nicht. Aber es dürfe sie eben auch in Zukunft nicht geben. Vor allem nicht während der WM. Als er solchermaßen wirr vor sich hin heuchelnd von einer ZDF-Journalistin gefragt wurde, warum er das Thema denn überhaupt anspreche, wenn das Phänomen doch gar nicht existiere, stammelte er, von der Realität sichtlich genervt, nun ja, es gebe da schon „Probleme“, die man aber nicht dramatisieren dürfe.

Wie aber könnte man eine Situation, die für bestimmte Menschengruppen maximal dramatisch, nämlich lebensgefährlich ist, noch dramatisieren? Alle, die irgendetwas von der Materie verstehen – sei es der Verfassungsschutz, seien es antirassistische Gruppen oder die Gewaltopfer selbst – wissen, dass es in Deutschland immer mehr Nazis und Nazi-Gewalt gibt und die „national befreiten Zonen“ im Osten stetig größer werden. Und dass die Politiker, im Westen wie im Osten, nicht mal auf ihre eigenen Spitzel hören und nach wie vor angestrengt wegstarren. Während die Polizei lieber mal, wie vor gut einem Jahr in Braunschweig, einer NPD-Demo hilfsbereit den Weg durch eine gegenprotestierende Stadt freiknüppelt. So ist das eben, wenn nicht gerade WM ist und kein neuer Verfassungsschutzbericht auf dem Tisch liegt.

Gern auch werden kleine Punks und Antifa-Jugendliche, die in Ostdeutschland oft die Einzigen sind, die sich aktiv noch gegen die Nazis wehren, als „Linksradikale“ mit diesen gleich gesetzt. Besonders CDU-Politiker scheinen unter einer Art Polit-Tourette-Syndrom zu leiden: Wenn sie nicht anders können und in der Öffentlichkeit doch einmal gegen Nazis Stellung beziehen müssen, fangen sie sofort danach an zu zucken, hauen sich auf den Kopf und schreien zwanghaft: „PDS-Stasi-Linksextremismus!“ Neuerdings gern auch mal „Bin-Laden-Kopftuch-Islamfaschisten!“

Auch Schäuble leidet unter der Krankheit, Phänomene, die nichts miteinander zu tun haben, in einem Atemzug nennen zu müssen. Nicht nur „Fremdenfeindlichkeit“ werde bekämpft, sondern „jede Form von Extremismus“, trompetete er bei der bei der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts. Als ob „jede Form des Extremismus“ in diesem Fall das Problem wäre. Als ob zum Beispiel die geheimdienstliche Überwachung von langweiligen DDR-miefigen PDS-Mitgliedern oder irren Islamisten die ostdeutschen Kleinstädte sicherer machen würde. Angesichts dieser erschütternden „No-brain-area“ im Kopf eines Bundesministers ist man überrascht, dass jemand noch hirnfreier hetzen kann. Aber es geht: Wenn der bayerische Innenminister Beckstein feststellt, dass ein „Türke in Deutschland sicherer lebt als in Istanbul“, fragt man sich, ob er der NPD damit eigentlich absichtlich den nächsten Plakatslogan liefert.