Merkel will Hartz IV überholen

Wenn im Herbst über Mindest- und Kombilöhne verhandelt wird, soll dies auch Hartz IV und damit die Langzeitarbeitslosen betreffen. Regierung dementiert, dass diesjähriges Hartz-Finanzloch von der Bundesanstalt für Arbeit gestopft werden soll

VON ULRIKE WINKELMANN

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Herbst eine weitere Überarbeitung der Hartz IV-Arbeitsmarktreform angekündigt. Sie sprach dabei von einer „grundlegenden Überholung“.

Die oberste Maxime laute, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben müsse als derjenige, der nicht arbeitet. Hierzu stellte Merkel infrage, dass die Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose vernünftig geordnet seien. Als weitere Stichworte nannte sie Minijobs, Verwaltungskosten und Unterkunftskosten, wurde dabei aber nicht genauer. Merkels Erklärung war das Ergebnis einer Koalitionsrunde aus Unions- und SPD-Spitzen am Sonntagabend.

Für den Herbst hat die Regierung ohnehin eine Neuordnung des gesamten Niedriglohnbereichs in Aussicht gestellt. Hierbei geht es darum, Armutslöhne entweder durch staatliche Zuschüsse aufzustocken – das wären „Kombilöhne“ – oder durch verbindliche Mindestlöhne zu vermeiden. Dass ein Ausbau der Kombilöhne oder etwa eine Mindestlohnregelung den Bereich der Hartz-IV-Arbeitsmarktreform beträfe, war bereits offensichtlich. Doch machte Merkels gestrige Ankündigung deutlich, dass Langzeitarbeitslose auch mit weiteren Kürzungen rechnen müssen.

Als Begründung dafür, dass beim Arbeitslosengeld II gespart werden müsse, dient dabei nach wie vor die Behauptung einer „Kostenexplosion“. Während Unionspolitiker sich auch gestern noch dieser Formel gern bedienten, versucht die SPD mittlerweile wieder, die Bedeutung des Kostenanstiegs bei Hartz IV zu relativieren. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) und die Seinen finden, mit dem „Fortentwicklungsgesetz“ zur Hartz IV, das am Donnerstag verabschiedet werden soll, sei genug getan.

So produzierte das Arbeitsministerium jüngst auch eine Hochrechnung, wonach Hartz IV kaum teurer ist, als Arbeitslosen- und Sozialhilfe gewesen wären: Auch unter dem alten System hätte „aufgrund der ungünstigen Entwicklung des Arbeitsmarkts die Ausgabenbelastung im Jahr 2005 zugenommen“.

Hätte es 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch gegeben, hätten diese Bund, Länder und Kommunen zusammen 43,5 Milliarden Euro gekostet – während die Reform im selben Jahr 44,4 Milliarden kostete. Der geplante Anstieg zum Jahr 2006 auf 47,8 Milliarden Euro wurde damit begründet, dass für Eingliederungsmaßnahmen und Betreuung mehr Geld zur Verfügung gestellt werde.

Das Ministerium legt demnach keinen Wert mehr darauf, spezifische Gruppen für den Anstieg der Arbeitslosigkeitskosten haftbar zu machen. Dass etwa massenweise junge Leute zu Lasten des Steuerzahlers aus dem Elternhaus auszogen, war ohnehin nicht nachzuweisen. Auch die gerade entdeckten ca. 1 Million „Aufstocker“, die zum geringen Lohn ALG II beantragen, können unmöglich Milliardenlöcher verursachen.

Aktuell fehlen im Haushalt 2006 freilich etwas über 2 Milliarden Euro für das ALG II. Arbeits- wie Finanzministerium dementierten gestern vorerst und etwas undeutlich, dass dieses Loch aus den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit (BA) gestopft werden soll – mithilfe des so genannten Aussteuerungsbetrags.

Dieser Aussteuerungsbetrag ist eine Art Strafe von 10.000 Euro pro Kopf, die die BA an den Bund für jeden Arbeitslosen zahlen muss, der aus dem – beitragsfinanzierten – Arbeitslosengeld I ins – steuerfinanzierte – Arbeitslosengeld II rutscht. Damit will man verhindern, dass bei der Jobvermittlung nach dem Motto „Für den kommt eh bald der Steuerzahler auf“ geschlampt wird.