Mali in Angst vor Wüstenkrieg

Nach den Rebellenangriffen auf Städte im Norden Malis deutet sich eine breitere Revolte der Tuareg-Nomaden an – eventuell mit islamistischen Verbündeten

BERLIN taz ■ International gilt Mali als Musterland der Stabilität in Westafrika. Es gibt eine Mehrparteiendemokratie, es herrscht Frieden, Präsident Amadou Toumani Touré ist international als Staatsmann geschätzt, für die USA ist Mali ein wichtiger afrikanischer Partner im Kampf gegen militante Islamisten. Genau diese Konstellation ist jetzt jedoch in Gefahr, nachdem vor einer Woche bewaffnete Rebellen des Tuareg-Nomadenvolkes Angriffe im Norden des Landes verübten.

Die Stadt Kidal nahe der Grenze zu Algerien wurde am 23. Mai einen Tag lang besetzt, und auch in anderen Ortschaften besetzten Aufständische Militäreinrichtungen. Als die Regierung Armeeverstärkung schickte, zogen sich die Rebellen kampflos zurück. Aber aus Angst vor Racheakten haben zahlreiche Zivilisten die Städte verlassen und verstecken sich ohne Versorgung in der Sahara-Wüste. Mehrere hundert sollen sogar die Grenze nach Algerien überschritten haben. Das Militär soll Kidal abgeriegelt haben, um neue Infiltrationen zu verhindern.

Zu der Revolte bekannte sich eine Gruppe unter dem desertierten Tuareg-Armeeleutnant Hassan Fagaga. Er verlangte Gespräche mit der Regierung über die alte Tuareg-Forderung, Malis drei Norddistrikte Timbuktu, Gao und Kidal zu einer autonomen Tuareg-Region zu vereinen. Daran hatte sich schon die große Tuareg-Revolte von 1990–92 entzündet, die Mali an den Rand eines Bürgerkrieges brachte. Nach einem Friedensschluss wurden damals die Rebellen in die Armee integriert, aber viele sind heute unzufrieden.

Von der neuen Rebellion hatten sich die meisten der einstigen Tuareg-Rebellengruppen zunächst distanziert. Doch seit Ende letzter Woche desertieren immer mehr Tuareg-Soldaten aus der Armee zu den Rebellen, und mehrere Quellen nennen inzwischen den bekanntesten Tuareg-Führer, Iyad Ag Ghali, als Mitanführer der Rebellen. Ag Ghali hatte 1990 die erste Tuareg-Revolte angeführt und später den Frieden mit der Regierung ausgehandelt. Im Sommer 2003, als Islamisten in der algerisch-malischen Grenzregion nahe Kidal mehrere deutsche Touristen als Geiseln genommen hatten, war Ag Ghali Vermittler bei den deutsch-malischen Verhandlungen mit den Kidnappern gewesen. Jetzt bestätigte der Gouverneur von Kidal, Al Amdou Ag Ilyiène, der am 23. Mai stundenlang von den Rebellen festgehalten wurde, gegenüber Agenturen die Anwesenheit Ag Ghalis beim Rebellenangriff und sagte, er habe sich widerstrebend deren Willen gebeugt.

Die malische Zeitung L’Indépendant warf Ag Ghali gestern Kontakte zu den algerischen Islamisten der GSPC (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) vor, die in der Grenzregion weiterkämpfen und von den USA als Teil al-Qaidas angesehen werden. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptung wächst mit solchen Berichten die Furcht, dass die Staatsmacht in Mali die Wüstenbevölkerungen im Norden nun insgesamt als Sicherheitsrisiko ansehen könnte. Malis früherer Sicherheitschef Souleymane Boubèye Maiga erklärte bereits, hinter dem Angriff auf Kidal müsse der „internationale Terrorismus“ gestanden haben, weil Tuareg-Dissident Fagaga für eine solche Aktion viel zu wenig Kämpfer habe.

DOMINIC JOHNSON