Polizei bleibt völlig nüchtern

Nach dem Amoklauf eines 16-Jährigen weist die Polizei Kritik an ihrem Sicherheitskonzept zurück. Auch ein generelles Alkoholverbot bei der Fußball-WM sei übertrieben, findet der Polizeipräsident

von PLUTONIA PLARRE

Eingeladen hatten Polizei und Staatsanwaltschaft zu einer Pressekonferenz „zur Kriminalitätsbekämpfung“ während der Fußballweltmeisterschaft. Doch statt sich für Hooliganismus und Taschendiebstahl zu interessieren, drehten sich die Fragen der Journalisten gestern nur um ein Thema: den Amoklauf eines betrunkenen 16-Jährigen aus Neukölln. Er hatte Freitagnacht nach der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs auf eine Vielzahl von Menschen eingestochen. Nach dem letzten Stand der Ermittlungen sind dabei 31 Menschen mit dem Messer verletzt und drei weitere Personen niedergeschlagen worden. Gegen den Jugendlichen ist Haftbefehl wegen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung erlassen worden.

Bei Großveranstaltungen dieser Art gebe „es keine absolute Sicherheit“, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch. Dass ein Betrunkener in einer Menschenmenge Amok läuft, sei ein „singuläres Ereignis“. Also mitnichten eine typische Situation, mit der bei der WM zu rechnen sei. Von einem generellen Alkoholverbot bei den Public-Viewing-Veranstaltungen halte er nichts, sagte Glietsch. „Solange der Alkoholkonsum nicht übertrieben wird, tut das der Sicherheit keinen Abbruch.“ Bei so genannten Risikospielen mit problematischen Fans werde die Polizei allerdings ein Alkoholverbot oder den Ausschank von alkoholarmem Bier in Betracht ziehen.

Mit Entschiedenheit verwahrte sich der Polizeipräsident gegen die Kritik des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz. Der hatte am Wochenende in der Saarbrücker Zeitung erklärt: „Mir ist schleierhaft, warum die Berliner Behörden so lange gebraucht haben, den Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen.“ Laut Glietsch hat die Polizei am Freitag aber nur 16 Minuten gebraucht, um den Jugendlichen festzunehmen.

Über das Motiv des 16-Jährigen ist nach wie vor nichts bekannt. Der Beschuldigte sei „nicht geständig“, sagte der Generalstaatsanwalt Ralf Rother. Es habe sich aber „eine Vielzahl“ von Zeugen gemeldet. Weil einer der durch die Messerstiche Verletzten mit dem Aidsvirus infiziert ist, besteht die Gefahr, dass sich auch andere Opfer infiziert haben. Obwohl das Ansteckungsrisiko von den Ärzten als gering eingeschätzt wird, wurde allen Betroffenen eine medikamentösen Behandlung angeraten.

Der 16-jährige Täter hat zuletzt eine Hauptschule in Steglitz besucht, ist dort aber – wie an anderen Schulen zuvor – wiederholt durch Schwänzen aufgefallen. „Er ist ein netter, höflicher Schüler. Ich kann es mir nur damit erklären, dass er zwei Gesichter hat“, wird sein Schulleiter von einer Nachrichtenagentur zitiert. Der Junge, ein Scheidungskind, habe bei seinem Vater in geordneten Verhältnissen gewohnt.

Schon in der Grundschule sei er aber durch Rangeleien aufgefallen. In die Hauptschule in Steglitz hat er laut seinem Schulleiter einmal ein Butterflymesser mitgebracht. „Danach wurde entschieden, der Jugendliche muss in einer kleineren Gruppe betreut werden“.