Kurdenpolitiker muss vor Gericht

Bürgermeister von Diyarbakir wegen Unterstützung einer Terrorgruppe angeklagt. Grund: der Transport eines toten PKKlers mit einem städtischen Krankenwagen

ISTANBUL taz ■ Dem Oberbürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir, droht eine bis zu einem Jahr andauernde Freiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Unterstützung einer terroristischen Organisation vor, weil er einen im Kampf mit der Armee erschossenen PKK-Militanten in einem städtischen Krankenwagen zur Beerdigung in dessen Heimatort Gaziantep transportieren ließ. Mitangeklagt sind drei städtische Angestellte, unter ihnen der Leiter der Friedhofsverwaltung.

Es ist nicht das erste Mal, dass Osman Baydemir, dem Oberbürgermeister der größten Stadt im überwiegend kurdisch besiedelten Südosten der Türkei, ein Prozess droht. Der ehemalige Menschenrechtler, der vor zwei Jahren als Vertreter der pro kurdischen Dehap an die Spitze der Kommune gewählt wurde, hatte immer wieder Ärger mit der Staatsanwaltschaft und den kommunalen Aufsichtsbehörden. Der Grund für diese Auseinandersetzungen ist in der Regel immer derselbe: Baydemir wird von Regierung und Justiz vorgeworfen, dass er sich nicht eindeutig von der „Terrororganisation PKK“ distanziere.

Tatsächlich hat Osman Baydemir in den letzten Jahren immer wieder durch Äußerungen Irritationen ausgelöst, so wenn er von der Armee erschossene PKKler als „unsere Helden“ bezeichnete oder während der von der PKK angezettelten Straßenkämpfe im März viel Verständnis für die randalierenden Jugendlichen zeigte. Damals war in Ankara diskutiert worden, ob man gegen Baydemir ein Amtsenthebungsverfahren einleiten solle. Auf der anderen Seite ist Baydemir kein platter Ideologe der PKK, sondern zuerst einmal an pragmatischen Lösungen für die Einwohner der 1,2-Millionen-Metropole Diyarbakir interessiert. Deshalb hat er sich immer um eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit mit dem Gouverneur von Diyarbakir bemüht.

Das Dilemma Baydemirs ist Ausdruck des Problems seiner gesamten Partei. Seit Jahren wird in der Dehap darüber gestritten, wie sie sich gegenüber der PKK verhalten soll. Während die einen sich als legaler Arm des inhaftierten Abdullah Öcalans begreifen, wollen die anderen eine unabhängige, zivile Kraft in der kurdischen Politik etablieren.

Für Baydemir gleicht sein Amt einer täglichen Gradwanderung. Würde er der Forderung von Ministerpräsident Erdogan nachkommen und sich klar von der PKK distanzieren, verlöre er die Unterstützung seiner Partei. Kommt er den Erwartungen eines Großteils der Parteibasis zu weit entgegen, drohen ihm Anklagen wegen Unterstützung der PKK. Der Prozess gegen ihn soll in den nächsten Tagen beginnen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH