Der Kreml kocht

Wladimir Putin gelingt es beim Moskauer Weltzeitungskongress 2006 nicht, den Schirmherrn der Pressefreiheit zu geben. Also mimt er die Diva

AUS MOSKAU KAUS-HELGE DONATH

Die Konferenzteilnehmer im Kremlpalast waren sich nicht sicher, ob sie auf der richtigen Veranstaltung gelandet waren. 1.700 Verleger, Chefredakteure und sonstige Medienmenschen aus aller Welt hatten sich vis-a-vis der russischen Machtzentrale zum Kongress der World Association of Newspapers (WAN) eingefunden. Doch wer nicht kam, war der Sponsor und Hausherr – Wladimir Putin, der Gäste gerne mal auf sich warten lässt.

Diesmal stellte Putin die Besucher auf eine besonders harte Probe. Nach zwei Stunden Verspätung glaubten sie sich auf einem Klassik-Festival: Wladimir Spiwakow, der Chef der Russischen Philharmonie, gab Zugabe auf Zugabe. Von der „Schlafenden Schönheit“, dem russischen Dornröschen, bis zu „Schwanensee“. Das war nun bislang die Standardnummer, die bislang eigentlich das Hinscheiden kommunistischer Generalsekretäre signalisierte. – Doch dann tauchte der Kremlchef doch noch auf.

Die Entscheidung, den Kongress in Moskau abzuhalten, war innerhalb der WAN umstritten. Man habe sich nach langer Diskussion für Moskau entschieden, um die Kritik an mangelnder Pressefreiheit beim Gastgeber in aller Deutlichkeit zu üben, sagte der WAN-Vorsitzende Gavin O’Reilly von Independent News & Media (Zeitungen in Großbritannien, Irland, Südafrika, Australien, Neuseeland): „Unsere Organisation ist dazu da, sich um die Durchsetzung der Pressfreiheit zu bemühen, selbst auf die Gefahr hin, dass wir uns bei unseren Gastgebern unbeliebt machen.“ Und der irische Zeitungsboss sparte nicht mit Kritik: Unabhängige TV-Sender gebe es in der Ära Putin nicht mehr. Zensur und Selbstzensur seien an der Tagesordnung, und wegen der anstehenden Wahlen 2007/08 würden unabhängige Printmedien zielstrebig dem Staat einverleibt. – Starker Tobak für den kritikentwöhnten Kreml.

Schon im Vorfeld, berichtet die Tageszeitung Kommersant, sei man im Kreml über O’Reilly erbost gewesen und hätte gedroht, den Auftritt des Präsidenten platzen zu lassen. Besonders O’Reillys Empfehlung vor Kongressbeginn, den für Juli geplanten G-8-Gipfel nicht in Moskau stattfinden zu lassen, soll dem Kreml missfallen haben. Der WAN-Vorsitzende sparte dieses heikle Thema in seiner Rede dann aber überraschend aus – und behauptete, keinem Druck nachgegeben zu haben.

Wladimir Putin ertrug die Kritik stoisch: 53.000 unabhängige Publikationen gebe es derzeit, die Zahl wachse stetig. Und selbst wenn der Staat wollte, könne er die nicht alle kontrollieren, meinte der Staatschef – und erntete bei den Teilnehmern verständnisvolles Nicken. Natürlich überging er all jene Fälle, bei denen der Staat über seine Beteiligungen – wie bei Gazprom – Mehrheitsaktionär bei Medienunternehmen ist. Gerade der Gasmonopolist baut ein kremlhöriges Medienimperium auf.

Am russischen Publikum geht diese Kontroverse ohnehin vorbei. Zwar berichten die staatlichen TV-Sender ausführlich über den Kongress – nach dem Motto: Wieder mal ist die Welt bei uns zu Gast. Innenpolitische Kontroversen werden ausgeblendet, auch die Presse berichtet höchst zurückhaltend. Der Duma-Vorsitzende und Putin-Intimus, Boris Gryslow, wertete den Konvent denn auch als Beweis für die „Anerkennung der demokratischen Leistungen russischer Medien durch die weltweite Gemeinschaft der Zeitungsmacher“.

Wer etwas essen möchte, will nicht jedes Mal selbst kochen, meinte beim Kongress Springer-Vorstand Mathias Döpfner. So sei das auch mit Lesern: Sie möchten nicht immer alle Entscheidungen selbst treffen – und hätten gerne eine gewisse Vorselektion. Das hätte auch von Wladimir Putin stammen können. Man versteht sich, auch wenn man etwas anderes meint.