Landlose stürmen Parlament

Verletzte und Verhaftete in Brasilien: Demonstranten besetzen das Kongressgebäude

BERLIN taz ■ 700 Demonstranten der „Befreiungsbewegung der Landlosen“ MLST haben am Dienstag das brasilianische Parlament gestürmt und für rund eineinhalb Stunden besetzt gehalten. Bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften wurden mindestens 26 Menschen verletzt, manche davon schwer.

Zu der gewaltsamen Erstürmung in der Hauptstadt Brasilia war es gekommen, als Sicherheitsleute den Demonstranten verbieten wollten, dem Parlament eine Liste mit Forderungen zu überreichen. Die Menge zerschlug Glasscheiben, warf ein Auto um und verschaffte sich Zugang zum Gebäude. In den Fluren bildeten die Demonstranten eine Menschenkette, um den Abgeordneten das Verlassen des Saales zu verwehren. Nach eineinhalb Stunden zogen sich die Demonstranten freiwillig zurück. Etliche der Anführer und mehrere hundert Demonstranten wurden beim Verlassen des Geländes von der Polizei festgenommen. Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärten, sie könnten wegen Bandenbildung und möglicherweise sogar wegen Mordversuchs angeklagt werden. Ein Mitglied der Sicherheitskräfte befand sich in kritischem Zustand, nachdem er mit Knüppeln niedergeschlagen worden war.

Die Demonstranten waren insbesondere mit der Forderung nach mehr Mitteln für die Agrarreform und die Enteignung von Ländereien angetreten. Die MLST ist eine 1997 gegründete linke Abspaltung der größten Landlosenbewegung MST. Die MST organisiert regelmäßig die Besetzung brachliegenden Ackerlandes und versucht, auf diesem Wege die Umverteilung an landlose Bauern zu erreichen. Der MLST geht das nicht weit genug. Sie hat dem aus der Gewerkschaftsbewegung stammenden brasilianischen Präsidenten Inacio Lula da Silva die Gefolgschaft aufgekündigt, während die MST ihn trotz Kritik weiterhin unterstützt.

Die ungerechte Landverteilung gehört zu den großen ungelösten Entwicklungsproblemen Brasiliens. Nur 20 Prozent der Bevölkerung besitzen rund 90 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, während die ärmsten 40 Prozent der Einwohner sich ein Prozent des Landes teilen müssen. Auch mit dem Versprechen, die lange überfällige Agrarreform endlich ernsthaft anzugehen, hatte Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) 2002 die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Im Oktober will er wiedergewählt werden.

BERND PICKERT