In Tabuzonen der Kunst

Lange verhinderte der gierige Blick auf das wilde Leben von Martin Kippenberger die kritische Auseinandersetzung mit seiner Kunst. Im Düsseldorfer K 21 kann das nun nachgeholt werden

VON KATJA BEHRENS

Ein Tisch und zwei Stühle sind das Modul, aus dem die vielen Variationen einer ungleichen Gesprächssituation sich zusammensetzen. Groß und klein, hoch und niedrig, alt und neu sind die auf grünem Rasenteppich arrangierten Möbel, angeschnitten, angemalt, benutzt. Beginnend mit der raumgreifenden Installation „The Happy End of Franz Kafka‘s America“ im Foyer blättert sich dann in den Ausstellungsräumen des Düsseldorfer K21 das Repertoire auf, mit dem sich der dokumenta-Künstler zwanzig Jahre lang in die Kunstgeschichte eingeschrieben hat: Das medial vermittelte Bild- und Wortgedächtnis der Moderne und ihrer ungelösten Konflikte. Die sexistischen, politisch provokanten Arbeiten, die den Mythos Martin Kippenberger so lange getragen haben, bleiben hingegen weitgehend ausgeblendet.

Schon 2003, sechs Jahre nach dem frühen Tod des Dortmunder Künstlers, hat es im Karlsruher Museum für Neue Kunst (ZKM) eine große Ausstellung gegeben, die unter anderem dazu beitrug, das schon damals eigentlich gar nicht mehr so umstrittene Werk Kippenbergers (1953-1997) erneut zur Diskussion zu stellen und es dann doch endgültig als hoch museal zu sanktionieren. Die Kunstgeschichte umarmt heute einen Berserker, dessen Selbststilisierung als Kunstdandy ihm zumindest immer einen hohen Grad an Aufmerksamkeit sicherte, den Blick auf seine Kunst freilich oft genug verstellt hat. Denn tatsächlich ist es verführerisch, die biographischen und die künstlerischen Ausschweifungen und Entgleisungen kurz zu schließen, das eine für das andere haftbar zu machen und damit dem alten Trugschluss aufzusitzen, das sezierte Leben würde schon automatisch auch die Kunst erklären. Die Ausstellung in Düsseldorf vermeidet gerade diese Kausalität. Denn das von der Patina der jüngeren Geschichte schon leicht verschleierte Werk könnte in Erwartung einer dem Lebensstil vergleichbaren exzessiven Rüpelhaftigkeit nur enttäuschen. Außerdem schien die zusammen mit der Tate Modern in London konzipierte Schau bereits dem britischen Publikum – das bislang kaum Gelegenheit hatte, den deutschen Künstler kennen zu lernen – eine gemäßigtere, gleichsam domestizierte Form seiner Kunst anzubieten. Denn viele, der auf die deutsche Sprache und Kultur abzielenden, Anspielungen sind ohne das Wissen um den tagesaktuellen Kontext, dem sie entstammen, nicht immer verständlich.

So erinnert im K21 nur Weniges an die wild-obszönen Jahre und ihre ätzenden Provokationen. Die Bücher, Ausstellungsplakate, auch der Videofilm, in dem Kippenberger zusammen mit Roberto Orth in grandios schlechtem, weil buchstäblichen Französisch ein Interview mit sich selbst vorliest, geben aber wenigstens einen Eindruck von dem ironischen Gestus, mit dem er die Formate des Kunstmarktes und die Bedingungen der Kunstproduktion kommentierte. Die Selbstironie ist mit Sicherheit eine seiner Stärken gewesen. Davon zeugen auch die Werkgruppen „Lieber Maler, male mir“ (1981) oder die „Weißen Bilder“ (1991), in denen er den Anspruch auf Originalität ad absurdum führt, indem er seine Bilder von anderen malen lässt.

Jede Auseinandersetzung mit dem weitverzweigten Werk von „Heavy Burschi“ muss sich offenbar immer noch erst einmal an den Gemeinplätzen seiner Rezeption als enfant terrible abarbeiten. In der Präsentation der vielen großen und kleinen Bilder in Düsseldorf wirken die Spuren ihrer einstigen Provokation, die banalen Motive und ihre sprachliche Dekonstruktion, die geliehene Ästhetik und grobe Verunstaltung heute schon wie Relikte aus einer anderen Zeit. Wo sind der Hohn und Spott geblieben, den viele Fans einst so geliebt haben? Was wäre nötig, um überhaupt die formalästhetischen und konzeptuellen Entwürfe, die Fragen und Antworten seiner Kunst, die ästhetischen Dimensionen und den kunsthistorischen Referenzrahmen wieder in den Blick zu bekommen? Vermutlich hilft dabei nur ein vergleichsweise nüchterner Blick, wie er in der Präsentation versucht wird.

Sichtlich angeekelt von der bürgerlichen Gesellschaft und Kultur buhlte der Künstler doch, im Windschatten der amerikanisierten Populärkultur oder der neoexpressionistischen Neuen Wilden, um ihre Gunst und Anerkennung. Der Bürgerschreck hatte ganz offensichtlich doch recht bürgerliche Sehnsüchte und Bedürfnisse. Dem vielbeschworenen Bild Martin Kippenbergers indes entspricht diese Version nicht. Vielleicht aber war es gerade das vormals so häufig beklagte Scheitern der Vermittlung zwischen Künstler und Publikum, das kryptische Verweissystem, welches heute eine der Zugangsmöglichkeiten zu dem charmant-ätzenden Werk darstellt.

Bis 10. September 2006