Kronzeugen auf Zelluloid

Guantánamo im Film: Michael Winterbottom zeigt die Absurdität des Lagers

Berlin taz ■ In Frankreich läuft er schon, hierzulande ist noch nicht klar, ob Michael Winterbottoms halbdokumentarischer Film „The Road to Guantanamo“, der bereits auf der Berlinale zu sehen war, noch im Sommer in die Kinos kommt. Doch der Trailer läuft bereits und bietet bedrückende, freilich nachgestellte Szenen aus dem US-Gefangenenlager auf Kuba.

Das erste Motiv des Films aber ist die Diskrepanz zwischen der modernen Kommunikationsgesellschaft und der vormodernen afghanischen Gesellschaft. Denn die Ereignisse in New York um den 11. September 2001 sprachen sich nicht in allen Weltgegenden so schnell herum wie im Westen. In Afghanistan, wo die Anstifter der Anschläge lebten, erfuhren die Menschen manchmal erst mit einigen Tagen Verspätung davon, dass im weit entfernten Amerika etwas Außergewöhnliches geschehen war. Nicht wenige waren bei Ausbruch des Afghanistan-Krieges noch ahnungslos.

Und so ahnungslos werden auch fünf junge Männer aus dem englischen Tripton von der Weltgeschichte erwischt. Sie sind nach Pakistan gekommen, weil einer von ihnen eine arrangierte Ehe eingehen sollte. Um ihren muslimischen Glaubensbrüdern zu helfen, reisen sie weiter nach Afghanistan. Auf offener Straße trifft sie das erste Bombardement der Amerikaner. Danach sind sie nur noch zu viert und auf der Flucht. Bevor sie es schaffen, nach Pakistan zurückzukehren, geraten sie in Gefangenschaft, und ohne richtig zu begreifen, wie ihnen geschieht, werden sie als „Enemy Combatants“ behandelt.

Winterbottoms Film veranschaulicht mit nachinszenierten Passagen die mündlichen Aussagen der vier Briten. Sie sind inzwischen nach England zurückgekehrt und gewissermaßen „Kronzeugen“ gegen die USA und ihre Praxis im Umgang mit Terrorverdächtigen. Winterbottom konzentriert sich auf Verhörszenen, weil sie die Asymmetrie des Verfahrens am deutlichsten zeigen: Auf der einen Seite ein junger Mann mit einer zufälligen Geschichte, auf der anderen Seite immer neue US-Vertreter, die nicht so sehr auf Details aus sind als vielmehr ein allgemeines Geständnis erzwingen wollen.

Die Analogie zu den Hexenprozessen und der Inquisition in der Frühen Neuzeit liegt auf der Hand. Die eindringlichste diese Absurdität veranschaulichende Szene spielt in einem offenen Käfig unter dem nächtlichem Himmel von Guantánamo, in dem britische Muslime einem amerikanischen Aufseher einen Rap vortragen, den er nicht verstehen kann. Den kulturellen Graben zwischen den Beteiligten haben die Amerikaner durch ihre Umgehung des Rechts weiter aufgerissen. BERT REBHANDL