Die Schöne und der Schläfer

Wer wird Superstar? Das Al-Qaida-Mitglied oder die All-American Beauty? In „American Dreamz“ versucht der Regisseur Paul Weitz, die Abgründe von Politik und Entertainment auszuloten, indem er den Präsidenten als Juror ins Trash-TV schickt

von DIETMAR KAMMERER

Der Präsident der Vereinigten Staaten bleibt heute lieber im Bett. Aber es ist nicht nur die notwendige Erholung von den Strapazen einer knapp gewonnenen Wiederwahl, die ihn lästige Pressekonferenzen oder öffentliches Händeschütteln mit ausländischen Staatsoberhäuptern absagen lässt. Der mächtigste Pyjamaträger des Planeten – in Paul Weitz’ Politsatire „American Dreamz“ wird er von Dennis Quaid verkörpert – hat eine neue Leidenschaft für sich entdeckt: das Zeitunglesen. Um nicht länger abhängig zu sein von den Briefings seiner Berater, kämpft er sich zum ersten Mal selbst durch die politischen Analysen der Tagespresse, was ihn mehr Zeit kostet, als die Verpflichtungen seines Amtes zulassen – und was angesichts der Fülle an Informationen eine veritable Sinnkrise bei ihm auslöst. Wie regieren, wenn es immer eine dritte, vierte, fünfte Ansicht zur Lage der Dinge gibt? Ob er sich ein neues Haustier zugelegt habe, fragt sein Stabschef (Willem Dafoe), als er das Mobiliar des präsidentialen Schlafzimmers von Zeitungsseiten bedeckt findet. Und benennt sofort die einzige Kur für seinen grüblerischen Vorgesetzten und dessen im Sinkflug befindliche Umfragewerte: ein Fernsehauftritt in „American Dreamz“, der überaus erfolgreichen Talentshow, deren fantastische Einschaltquoten die Beliebtheitswerte auch des Präsidenten anschieben sollen.

Wozu Nachrichten lesen, wenn man selber welche machen kann? Lässt man einmal die für Printjournalisten zwar schmeichelhafte, leider jedoch falsche Entgegensetzung beiseite, dass nämlich in den Zeitungen die Wirklichkeit komplex und richtig dargestellt würde, während das Fernsehen durch sinnfreies Entertainment den Realitätsverlust fördere, so sind in dieser Szene die Koordinaten der folgenden knapp einhundert Minuten abgesteckt: die Politik des Showbusiness und die Entertainmentqualitäten der Politik, auf den Stand des Aktuellen gebracht durch die Debatte um den „Krieg gegen Terror“ im eigenen Land, die Abgründe von Trash-TV und Nutzen und Nachteil des Berühmtseins.

Der Gemeinplatz vom nur auf Medienwirkung bedachten Polittheater war zwar schon öfter Gegenstand satirischer Aufarbeitung im Kino, selten aber ist das Dilemma solch einer Vorgabe derart deutlich abzulesen wie in Weitz’ Film: Wie mokiert man sich über etwas, das von sich aus längst die Grenze zur Parodie überschritten hat? Was könnte die Camp-Anmutung der Möchtegern-Stars und ihrer Auftritte besser wiedergeben als das Original, die Serie „American Idol“, selbst? Wer kritisiert noch die Versuche politischer Mandatsträger, in den Arenen der Popkultur bis auf Kellerniveau auf Stimmenfang zu gehen?

Die Zeiten für Satire sind vertrackt. Wer sich über die Illusionen der Medien noch Illusionen macht, wird müde belächelt. In Barry Levinsons Politsatire „Wag the Dog“ unternahm der von Robert De Niro dargestellte spin doctor noch den Versuch, von den Seitensprüngen des Präsidenten mit einem simulierten Fernsehkrieg abzulenken: durch authentisch aussehende Bilder, die am Rechner entstanden sind. Das liberale Echtheits-Credo dieses Films darf getrost als überholt angesehen werden. Glaubte Levinson 1998, dass es genüge, die medialen Manipulationen aufzudecken, um sie wirkungslos zu machen, darf sich die künstliche Welt des Glamour heute ohne Verstellung als fabrizierte ausweisen und erreicht gerade dadurch ihre höchste Wirkung. Jeder weiß, dass ein Ticket als „Superstar“ Berühmtheit für höchstens fünfzehn Sekunden sichert, was den massenhaften Appeal solcher Formate nicht im Geringsten schmälert.

„American Dreamz“ ist vielleicht nicht „die riskanteste politische Satire“ seit dem Levinson-Film, wie der US-amerikanische Filmkritiker Roger Ebert glaubt. Seither gab es immerhin Warren Beatty in „Bulworth“, der ebenfalls einen Politiker auf Popularitätssuche im Showbusiness darstellte. Zudem stellt Ebert fest – und mit ihm das Gros der amerikanischen Filmkritik –, dass der aktuelle Film in diesem Vergleich deutlich schlechter abschneidet. Begründung: Der Regisseur Paul Weitz verspricht zu viel und hält zu wenig. Von der Hand zu weisen ist solch ein Vorwurf nicht. So viele Themen reißt der Film an, dass er Gefahr läuft, sich selbst auszubremsen: Da geht es um die Entlarvung des politischen Betriebs als Ränkespiel von Strippenziehern, die im Hintergrund bleiben, während sie einem telegenen Präsidenten den Text einflüstern; um den Blick hinter die Kulissen der Fernsehunterhaltung, die Popularität erzeugt, indem sie dem Publikum erfolgreich suggeriert, sie würde in der täglichen Trash-Produktion ausschließlich von dessen Geschmacksvorgabe motiviert (und nicht etwa von dem Diktat, eine hohe Quote mit möglichst billigen Mitteln zu erreichen); um die Abgründe der Celebrity Culture; um die Angst vor Terroristen im eigenen Land. Mit den Erzählsträngen vermehren sich die Figuren: Martin Tweed (hervorragend als charmantes Schwein: Hugh Grant) ist Produzent, Moderator und einziges Jurymitglied von „American Dreamz“, ein Zyniker mit aufgeblasenem Ego, der gelernt hat, die gelegentlichen Anflüge von Selbstverachtung mit dem selben routinierten Sarkasmus zu bewältigen, mit dem er die glücklosen Kandidaten auf der Bühne abkanzelt. Was die Personalsuche für die nächste Staffel seiner Talentshow angeht, gibt er die Parole aus: Je abseitiger, desto besser. So gelangen unter anderem ein Britney-Spears-Double (Mandy Moore) und der frisch aus Afghanistan eingereiste Omer (Sam Golzari) in die Auswahl. Das strohblonde Mädchen mit ihrem blendend weißen Cheerleader-Lächeln und dem beinharten Willen, die Konkurrenz aus dem Feld zu stechen, erweist sich als Tweeds Nemesis: Sie ist in der Verfolgung ihrer Ziele so skrupellos, dass der misanthropische Produzent gar nicht anders kann, als in ihr eine Seelenverwandte zu erkennen. Omer wiederum wurde wegen Unfähigkeit aus einem Al-Qaida-Ausbildungslager rausgeschmissen: Der Nachwuchs-Terrorist mit einem Faible für Broadway-Melodien wird als Schläfer in die USA gesandt mit der Absicht, ihn niemals zu wecken. Weil aber überraschend der Präsident zur finalen Jury gehören soll (und die Terroristen eifrige Fans der Sendung sind), wird Omer angewiesen, es unbedingt bis in die letzte Runde zu schaffen.

Weitz hat gar nicht vor, in die Fußstapfen von Beatty oder Levinson zu treten, die immerhin insofern als gescheitert beschrieben werden dürfen, als die Gegenstände ihrer Demontageversuche durch Affirmation aller möglichen Einwände immun gegen diese wurden – mit dem Antikörper geimpft, lassen sie sich nicht mehr vom satirischen Virus zu Fall bringen. Weitz geht es weniger um die Artikulierung einer Botschaft als darum, die Satire für den Mainstream offen zu halten – genau für ein Publikum, das sich vom Kinofilm „American Dreamz“ auch als TV-Sendung ansprechen lassen würde, das also seinen Spaß hätte an „American Idol“ und anderen Superstar-Formaten. Die doppelte Verwendungsmöglichkeit des Titels muss programmatisch verstanden werden. Es geht darum, einen Film innerhalb der Genreregeln wirksam werden zu lassen und ihm zugleich einen doppelten Boden einzuziehen. Ähnlich funktionierte schon Weitz' vorletzter Film „Reine Chefsache“ als Familienkomödie, während er zugleich in aller Deutlichkeit von Existenzängsten im Neoliberalismus erzählen konnte.

Um noch Kritik leisten zu können, gibt es für das Kino und das Fernsehen zwei Optionen: Zum einen kann man die satirische Dosis ansteigen lassen durch Selbstreferenzialität auf die Form. So war die Anti-Bush-Sitcom der „South Park“-Macher „That's my Bush!“, die im Sommer 2001 nach nur drei Monaten abgesetzt wurde, nicht nur ein bissiger Kommentar auf die Präsidentschaft, sondern auch eine Anti-Sitcom-Comedy, eine Art Metakommentar auf die serielle Fernsehkomödie überhaupt. Zum anderen kann man, unter Einhaltung der Genreregeln, die massive Anhäufung und Verwirrung von Plots und Subplots unternehmen, um aus deren Ineinander den polemischen Funken springen zu lassen. Also häuft Weitz eine (unwahrscheinliche) Liebesgeschichte auf eine (unwahrscheinliche) Gewissenskrise des Präsidenten auf einen (aberwitzig unwahrscheinlichen) Attentatsversuch, um schließlich, wenn alle Beteiligten ihren Knall weghaben, mit einem zu enden.

„American Dreamz“, Regie: Paul Weitz. Mit Dennis Quaid, Willem Dafoe, Hugh Grant u. a. USA 2006, 107 Min.