EU-Parlament für Stammzellforschung

Auch mit deutschen Stimmen entscheiden die Europa-Parlamentarier gegen den Willen der großen Koalition: Mit Embryonenzellen soll geforscht werden. Das heikle ethische Thema lenkt völlig von anderen Skandalbeschlüssen ab

Eine Überprüfung der Herkunft der Stammzellen scheint nicht stattzufinden

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Nicht alle Tage bekommen die europäischen SPD-Abgeordneten Post von ihren Parteifreunden in Berlin. Vor der Abstimmung über das 7. Forschungsrahmenprogramm aber erinnerte Peter Röstel, SPD, seine EU-Genossen daran, was die große Koalition in Berlin gerade zur EU-Forschungsförderung beschlossen hatte: Nämlich „darauf hinzuwirken, dass die Europäische Union keine Forschungsprojekte fördert, bei denen Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt oder vernichtet werden.“

Der Appell war vergebens. Gestern stimmte eine knappe Mehrheit der Abgeordneten in Straßburg, darunter viele deutsche Sozialdemokraten, dafür, „Forschung unter Verwendung menschlicher Stammzellen, sowohl adulter wie embryonaler“ je nach den rechtlichen Bedingungen des interessierten Mitgliedslands zu fördern.

Der verantwortliche Berichterstatter, der konservative polnische Abgeordnete Jerzy Buzek, hatte sich zuvor um einen mehrheitsfähigen Kompromiss bemüht. Doch die Meinungen bei diesem heiklen ethischen Thema gehen sogar innerhalb der Fraktionen auseinander. Während etwa die deutsche Grüne Hiltrud Breyer in der Verwendung von Eizellen zur Forschung eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Frau sieht, betonen andere grüne Abgeordnete die Heilungschancen etwa für Alzheimer oder Parkinson.

Eine Gruppe christlicher konservativer Abgeordneter lehnt aus Respekt vor dem ungeborenen Leben jegliche Forschung mit embryonalen Stammzellen ab. Die Mehrheit des Frauenausschusses hätte eine Stichtagsregelung wie im deutschen Gesetz für akzeptabel gehalten. Ihnen geht es vor allem darum, keinen wirtschaftlichen Anreiz dafür zu schaffen, dass Frauen als Eizellenspenderinnen missbraucht werden. In Deutschland dürfen Forscher embryonale Stammzelllinien nutzen, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Europaabgeordnete mehrerer Fraktionen kamen mit dem Vorschlag eines Stichtags am 31. Dezember 2003 aber nicht durch.

Die EU-Kommission hatte in ihrem ursprünglichen Text lediglich verlangt, die Forschungsprojekte müssten „ethische Grundprinzipien“ berücksichtigen. Sie versucht die Debatte durch die Zusicherung zu entschärfen, die Entstehungsbedingungen der Stammzelllinien würden bei jedem Projekt genau geprüft. Auf eine Anfrage der Grünen Breyer konnte die Kommission jedoch nicht sagen, woher in den neun fraglichen Projekten aus dem 6. Forschungsrahmenprogramm (2000 bis 2006) die Zelllinien kamen.

Mehr Aufschluss erbrachte eine Anfrage der grünen Fraktion im Bundestag. Danach wurden bei sechs Projekten Stammzelllinien verwendet, die in Deutschland verboten sind. Das Projekt „Vitrocellomics“ zum Beispiel wurde mit drei Zelllinien durchgeführt, die der deutschen Gesetzgebung entsprechen, und mit acht weiteren, die nicht verwendet werden dürfen. Dennoch waren Forscher der Universität Saarbrücken an dem Projekt beteiligt. Die Herkunft von 17 Stammzelllinien ist unbekannt.

In der Debatte im Europaparlament wiesen mehrere Redner darauf hin, dass Stammzellenforschung nur ein Tausendstel des für die nächsten sieben Jahre eingeplanten Budgets von 50 Milliarden Euro ausmacht. Die positive Nachricht, dass künftig ein unabhängiger Forscherrat die Projekte für die Grundlagenforschung vergeben wird und dass Mittelbetriebe stärker an der Innovation beteiligt werden sollen, ging völlig unter. Ebenso der Skandal, dass in der nächsten Finanzperiode Atomforschung achtmal so viel Förderung erhält wie erneuerbare Energien.

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