Golfen im Berliner Hafenviertel

taz-Serie „Hafenstadt Berlin“ (Teil 5): Die Spree zwischen Friedrichshain und Kreuzberg ist schon lange zum Katalysator einer neuen Lebensart geworden. Dem kann sich auch die Hafengesellschaft Behala nicht verschließen. Sie gibt den Osthafen auf

VON NINA APIN

Das Schild, das zur Einhaltung der Hafenbetriebsordnung mahnt, ist ziemlich verrostet. Nur ein einsamer Kran mit der Aufschrift „Vulkankranbau Eberswalde“ hält noch die Stellung. Am Spreeufer zwischen Oberbaum- und Elsenbrücke sind die Hafenaktivitäten allmählich in der Minderzahl. Das Sand- und Mörtelwerk hat vor kurzem den Betrieb eingestellt, der benachbarte Baustoffhandel wird zum Jahresende folgen. Nur die Schienenstränge, die an der Promenade in der Sonne glitzern, werden daran erinnern, dass der zwischen 1907 und 1913 errichtete Osthafen einmal der drittgrößte Hafen Berlins war. Bis zu 2,5 Millionen Tonnen Güter jährlich wurden auf dem 106.000 Quadratmeter großen Gelände umgeschlagen.

Heute sind die Speicher und Lagerhallen mit Spreeblick begehrte Adressen für Medien-, Mode- und Musikfirmen. Vorreiter war der Musikkonzern Universal, der 2002 in das ehemalige Eierkühlhaus am westlichen Ende des Hafens einzog. 2004 folgte der Musiksender MTV, der seine Loftbüros in einer umgebauten und luxussanierten Lagerhalle bezog. Die neuen Mieter wurden von der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft Behala, die Eigentümerin des Osthafengeländes ist, gezielt angelockt. Bald sollen ein Modezentrum und weitere Fernsehstudios folgen.

Die Behala will den Hafen abstoßen. Alle denkmalgeschützten Gebäude hat sie veräußert, die letzten verbliebenen Unternehmen wie der Baustoffhandel und das Glasbruchunternehmen müssen bis zum Jahresende das Gelände verlassen.

Wie die Zukunft des Osthafens aussehen wird, zeigt ein Spaziergang über das Gelände. An der Spreepromenade direkt hinter der Oberbaumbrücke können sich Großstadtbewohner urban entspannen – in Liegestühlen fläzen, einen Latte Macchiato schlürfen oder in der „Capitol Yard Golf Lounge“ an einem Simulator den virtuellen Abschlag trainieren.

Ein Kellner mit Rollschuhen reicht dazu Zigarren und italienische Tagesgerichte. „Die Leute mögen es gerne etwas gehoben“, sagt er und deutet hinüber zum anderen Ufer, wo das Badeschiff der Arena auf dem Wasser glänzt. „Bald wird auch dieses Ufer ein Magnet“, prophezeit er, dreht eine kleine Pirouette auf dem Holzsteg und rollt wieder in die Lounge zurück.

Von maritimen Vergnügungen der gehobenen Art träumt nicht nur der Kellner: Der Architekt Gil Wilk plant in Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum Arena einen Yacht-Hafen an der Spree. Die „Marina“ im Bereich zwischen Arena und den „Twin Towers“ der Allianz soll Anlegehafen für kleinere Motorboote und öffentliche Promenade zugleich sein. Rückgrat der geplanten Anlage mit schwimmendem Restaurant, Bootsschule und Liegeplätzen soll die ehemalige Ost-West-Grenzbefestigung sein, die als Betonsteg in die Spree ragt. Das exklusive Yacht-Flair soll allen Berlinern zugänglich sein, betont „Arena“-Sprecherin Lone Bech: „Die Berliner sollen ihre Liebe zum Wasser entdecken. Je mehr ausgebaut wird, desto besser.“ Bis zum geplanten Baubeginn nächstes Jahr muss allerdings noch die Finanzierung geklärt werden.

Das Spree-Areal zwischen Kreuzberg, Treptow und Friedrichshain beflügelt die Fantasie vieler anderer Wasser-Enthusiasten. In der kürzlich gegründeten Interessengemeinschaft „Initiative Stadtraum Spree“ haben sich Vertreter verschiedener Anwohnerprojekte vereinigt, die auf dem Wasser Träume wahr machen wollen. Vorbild der Wasserliebhaber sind Städte wie Hamburg, Zürich oder London, die ihre Flüsse als Wohn- und Freizeitareale erschlossen haben.

Das Kunstprojekt „Borderlands“ plant im ehemaligen Grenzgebiet Europas größte permanente Kunstausstellung im öffentlichen Raum, die Initiative „Spreecab“ will ein Wassertaxinetz auf Spree und Landwehrkanal etablieren.

Die größten Chancen auf baldige Realisierung hat das Projekt „Spree 2011“ des Landschaftsarchitekten Ralf Steeg. Er will die Spree mit innovativer Technologie wieder zum Badefluss machen, schwimmende Abfangbecken sollen Einleitungen aus der Abwasserkanalisation verhindern. TU-Studenten, Ingenieure und die Berliner Wasserbetriebe arbeiten momentan zusammen an der Entwicklung einer Pilotanlage. Wenn das Forschungsministerium grünes Licht gibt, soll am hinteren Hafenende gebaut werden.

Noch geht es dort sehr beschaulich zu. Hinter dem Universal-Gebäude ist das Gelände fast menschenleer. Die Vorboten der neuen Lebensart und der traditionelle Hafenbetrieb existieren friedlich nebeneinander und bilden eine industrieromantische Kulisse für Spaziergänger. Auf einem Stück Brache voller Bauschutt und Drähte, direkt neben dem letzten Kran, steht ein bemaltes Stück Berliner Mauer. Zusammen mit dem überdimensionalen Konterfei der gelben Cartoonfigur „Spongebob“ eine perfekte Fotokulisse.

Das Flanieren am Wasser wird nur durch den Bauzaun gestört, hinter dem MTV eine weitere Lagerhalle ausbaut. Wenn die „Headquarter von MTV Networks, Central & Emerging Markets“ fertig sind, wird die „Hafen-Kantine“, die Montags bis Freitags von 6 bis 16 Uhr billiges Essen an die Bauarbeiter in den benachbarten Containern verkauft, wohl einem schickeren Gastronomiebetrieb weichen. Das Wirtschaftsgebäude jedenfalls hat sich MTV bereits gesichert. 2007 sollen dort zusätzliche Fernsehstudios einziehen. Auch in der Lagerhalle daneben wird gebaut: Eine österreichische Firma eröffnet darin noch in diesem Jahr ein Großhandelszentrum für Modefirmen.

Klaus-Günter Lichtfuß, Leiter der Abteilung Logistik der Behala, ist zufrieden mit der Abwicklung des Osthafens. „Mieter zu finden, ist für uns überhaupt kein Problem“, sagt er. „Allmählich entwickelt sich das Gelände zu einem begehrten Standort für Medien und Kultur.“ Nur das frühere Handwerkshaus an der Elsenbrücke wird die Behala nicht los. Es liegt verkaufsungünstig mitten auf einer geplanten Autobahntrasse, die vom Kreuz Neukölln bis zur Frankfurter Allee führen soll. Wann und ob die Trasse gebaut wird, ist noch unklar, einstweilen wird das Haus leer stehen. Der frühere Mieter, die Redaktion der Tageszeitung Neues Deutschland, ist längst ausgezogen. Ein weiteres Symbol einer alten Zeit, das der neuen Lebensart Platz macht.