Ist die Akte männlich?

Geschlechterverhältnisse gibt es nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Verwaltungshandeln. Deshalb hat der Senat das Gender Mainstreaming und Gender Budgeting forciert. Eine Bilanz

VON WALTRAUD SCHWAB

In Charlottenburg-Wilmersdorf wurde bei einer Erhebung festgestellt, dass Männer und Frauen „in der Beratungsarbeit für Behinderte und pflegebedürftige Personen“ unterschiedlich über Anträge befinden. Entscheiden Sozialarbeiterinnen, dann erhalten 90 Prozent der antragstellenden Männer, aber nur 67 Prozent der antragstellenden Frauen „soziale Betreuung“. Diese Pflegeleistung unterstützt bei der Bewältigung des Alltags – Hausarbeit inbegriffen.

Entscheiden hingegen Sozialarbeiter, also Männer, befürworten diese die Anträge beider Geschlechter zu je 100 Prozent. Braucht man demnach als behinderte Frau in Charlottenburg-Wilmersdorf Hilfe im Alltag, sollte man besser an einen Sozialarbeiter geraten. Sozialarbeiterinnen muten Frauen, vermutlich aufgrund ihrer eigenen weiblichen Sozialisation, mehr zu.

Die Erhebung ist ein Beispiel von mehreren. Sie wurde erstellt, weil die Berliner SPD und Linkspartei in ihren Koalitionsvereinbarungen von 2002 ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen den Geschlechtern in allen Lebens- und Arbeitsbereichen als zentrales Politikziel aufgeführt haben. Das passende verwaltungstechnische Instrument, um dies zu erreichen, ist Gender Mainstreaming und Gender Budgeting. Die beiden Wörter und das ganze Konzept, das sich dahinter verbirgt, werden beim heute stattfindenden ersten Berliner Fachkongress zum Thema auf dem Prüfstand stehen (siehe Kasten).

Gender Mainstreaming ist eine Theorie, die auf der Erkenntnis fußt, dass die Verwaltung nicht geschlechtsneutral ist. Denn soziale und kulturelle Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit haben sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in ihren Institutionen tief verankert. Deshalb, so die These, reproduzieren die Institutionen selbst Geschlechterhierarchien, die modernen Gleichheitsgedanken schon lange nicht mehr entsprechen.

Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, diesen Prozess zumindest in seinem eigenen Verwaltungsverhalten zu überprüfen. Sollte sich die These, wie im obigen Beispiel, bewahrheiten, kann der Gesetzgeber bei der Verteilung der Gelder und der Fortbildung der MitarbeiterInnen auf solche Geschlechterdiskrepanzen reagieren. Dies ist mit Gender Budgetierung gemeint. In Berlin wurde dieser Prozess in den letzten Jahren forciert.

Bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming gibt es ein Problem: Bevor zementierte Geschlechterbilder in der Verwaltungspraxis geändert werden können, muss man sie erst einmal herausarbeiten und benennen. Deshalb wird im Rahmen der Durchsetzung von Gender Mainstreaming daraufhin gearbeitet, dass Statistiken nach Geschlecht aufgeschlüsselt werden.

Dies war bis vor kurzem nur dann der Fall, wenn es von demographischem oder wirtschaftlichem Nutzen war. Nicht aber, wenn es darum ging, die gesellschaftliche Teilhabe von Männern und Frauen aufzuzeigen. Wer leiht Bücher aus? Wer nutzt Sportplätze? Wer ruft Fördergelder ab? Wer bekommt Einzelfallhilfe bewilligt? Wen treffen Einsparungen öffentlicher Gelder am meisten?

Antworten auf solche Fragen suchte man in Berlin in den letzten Jahren in ausgewählten Bezirken. Das Charlottenburger Beispiel, das demonstriert, wie traditionelle Rollenbilder sich auf die Bewilligung von Hilfeleistungen auswirken, wurde dabei zutage gefördert.

Andere Ergebnisse mögen erwartbarer sein, sie zeigen jedoch auch, dass es Ungleichheiten gibt. In Lichtenberg etwa wurde herausgearbeitet, dass Bibliotheken zu 60 Prozent von Frauen und Mädchen genutzt werden. Bei der Nutzung von Sportstätten liegen hingegen die Männer und Jungen mit 60 Prozent vorne. Vor allem offene Sportflächen werden von Frauen gemieden. Für die Sportstätten stellt der Bezirk allerdings mehr als doppelt so viel Geld zur Verfügung wie für Bibliotheken.

Erhebungen aus anderen Verwaltungen weisen ebenfalls auf Unterschiede hin: Viel weniger Männer als Frauen nutzen die Krebsvorsorge. Viel mehr Männer als Frauen erhalten Meistergründungsprämien. Mehr Aussiedlerinnen nutzen Integrationsangebote als Aussiedler.

Die Bereitschaft und Fähigkeit, all diese Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen, sind die nächsten Schritte, denen sich die PolitikerInnen stellen müssen. Dazu ist es jedoch notwendig, dass die Führungsebene in der Verwaltung hinter dem Konzept Gender Mainstreaming steht. Nur wenn die Verwaltung geschlechtersensibel reagiert, fallen Ungleichheiten auf und es können Strategien entwickelt werden, wie sie vermieden werden.