Stolpern und taktieren

Die Begegnung Niederlande gegen Argentinien wird als attraktivstes Spiel der Vorrunde erwartet. Doch werden beide Teams kaum ihr Bestes geben

Heute Abend findet in Frankfurt das vermeintlich attraktivste Vorrundenspiel statt. Niederlande gegen Argentinien, das klingt mindestens wie ein vorweggenommenes Halbfinale – auf dem Papier. Andere Papiere sprechen dafür, dass sich die beiden Teams, weil sie bereits für das Achtelfinale qualifiziert sind, eher zu einem Freundschaftsspiel zweier Reserve-Teams treffen als zum Topmatch einer Weltmeisterschaft.

Letztere Papiere sind die kuriosen Regelwerke der Fifa. Sie sehen vor, dass ein Spieler nach der zweiten gelben Karte in der Vorrunde gesperrt ist, also hier für das Achtelfinale. Bei Holland droht sechs vorbelasteten Spielern diese Gefahr. Das unbedacht Groteske der tumben Regelausdenker: Nach der Vorrunde werden die Verwarnungen gestrichen. Das heißt: Man kann sich durch Nichteinsatz sogar reinwaschen.

Also droht ein minderwertiges Match der Ersatzspieler. Entsprechende Andeutungen von Bondscoach Marco van Basten (und auch von Argentiniens Trainer José Pekerman) machen seit Sonntagabend die Runde. „Es gibt Überlegungen, alle sechs verwarnte Spieler zu ersetzen. Wir wollen nichts riskieren“, sagt der sonst so offensivfreudige Exstürmer van Basten. Betroffen sind etwa Mittelfeldspieler Mark van Bommel und der flinke Linksaußen-Dribbler Arjen van Robben.

Ein Versteckspiel der B-Mannschaften wird keine schlüssigen Erkenntnisse über die wahre Leistungsstärke unserer orangenen Nachbarn möglich machen – ein weiterer netter Nebeneffekt. Bislang hat Holland zweimal knapp gewonnen und immer nur zeitweise überzeugt, zumindest in der Offensive. Stattdessen hatte die Elftal eine Ahnung davon abgeliefert, dass auch Holland, wenn ein Ergebnis über die Zeit zu retten ist, notfalls zu erfolgreichem Rumpelfußball alter deutscher Prägung fähig ist. Effektivität verdrängt Spielkultur und Schönheit. Das passiert kurioserweise genau in dem Moment, in dem der alte Antipode Deutschland seine alten Paradigmen umgekehrt zu tauschen scheint.

Bislang kennt das Niederländische noch keinen eigenen Begriff für Rumpelfußball, man spricht hier frech und schlicht von „Duitse speelwijze“. Ein Vorschlag wäre vielleicht „strompel voetbal“, Stolperfußball. Und aus dem einst zelebrierten „Voetbal totaal“ wird Fußball total effektiv.

Ein weiteres Indiz dafür, dass bei der heutigen Spitzenbegegnung nur kluges Rumpeln, Strompeln und Taktieren zu erwarten ist: Beide Gegner wissen beim Anstoß, ob sie Portugal oder Mexiko (deren Gruppe D spielt schon am Nachmittag) im Fall eines Nichtsieges aus dem Weg gehen können. Und in welcher Konstellation im möglichen Viertelfinale die Euphoriewalze Deutschland droht.

Im Idealfall wüssten die Kontrahenten, dass sie bei einer Niederlage sowohl Portugal, dem DFB-Team und höchstwahrscheinlich auch Brasilien bis zum möglichen Finale aus dem Weg gehen würden. Viel Raum also für Spekulation, für Gewinnenwollen oder Verlierensollen.

BERND MÜLLENDER