Für Soccer ist gegen Bush

Warum Fußballfans in den USA oft linksliberale Kosmopoliten und Blumenkinder-Kinder sind

VON SEBASTIAN MOLL

Es ist schon erstaunlich, dass Frank Foer bis heute ein echter Fußballfan ist. Foer ist Chefredakteur des Politmagazins The New Republic und Autor des Buches „Wie Fußball die Welt erklärt“. Und seine ersten Begegnungen mit dem Sport waren nicht gerade dazu angetan, eine lebenslange Leidenschaft zu entfachen.

Es war 1982 und Foers Eltern lebten in einem Nobelvorort von Washington, wo, wie er heute sagt, „eine große Dichte an Juristen von Eliteuniversitäten“ herrschte, die „aggressiv linksliberale Ideale pflegten sowie einen extrem betulichen Stil der Erziehung“. Unter dieser linken Elite der Post-60er war Fußball der Sport der Wahl.

„Football war für die Kinder zu gewalttätig, beim Baseball herrschte zu großer Druck und Basketball hatte zu sehr den Geruch des Ghettos.“ Fußball hingegen war so etwas wie eine Tabula rasa, auf die die Blumenkinder-Eltern ihre unamerikanischen Werte projizieren konnten.

Was dabei heraus kam, hatte nicht viel mit dem raubeinigen Arbeitersport zu tun, den man in Europa und Lateinamerika kennt. Es gab, erinnert sich Foer, „Teilnehmer-Pokale“ für alle, statt Auszeichnungen für die Sieger. Man wollte den Wettbewerbsgedanken nicht überbetonen. Talentierte junge Stürmer wurden vom Dribbeln abgehalten und zum sozialeren Passspiel erzogen. Lederhelme waren aus Angst vor Kopfverletzungen Pflicht, manchmal wurde gar das Kopfballspiel verboten.

Trotz derartiger Merkwürdigkeiten ist aus jener Kultur das vielleicht größte Sportwunder der USA in den vergangenen 50 Jahren entstanden. Heute ist Fußball unter Jugendlichen Nordamerikas der mit Abstand beliebteste Sport – 18 Millionen Heranwachsende zwischen fünf und neunzehn kicken. Spätestens seit die US-Nationalmannschaft im Viertelfinale 2002 um ein Haar Deutschland nach Hause geschickt hätte, ist das Team auch zu Hause keine Lachnummer mehr. Und US-Profis wie Keeper Keller von Mönchengladbach, Beasley (Eindhoven) oder Kapitän Reyna (Manchester City) sind gerne gesehen auf dem Weltmarkt.

Allerdings bleibt der Fußball trotz dieser Erfolgsgeschichte ein Fremdkörper im amerikanischen Sport-Mainstream. Noch immer sind die Stimmen derer laut, die in dem Lieblingssport der gebildeten urbanen Elite eine Bedrohung amerikanischer Werte sehen. „Mein Sohn rührt keinen Fußball an“, wetterte etwa jüngst der konservative Radio-Moderator Jim Rome. „Eher schenke ich ihm Schlittschuhe und ein Glitzerröckchen dazu.“ Und ein Sportkolumnist des äußerst seriösen Wall Street Journal schreibt: „Fußball ist der beliebteste Sport der Welt. Na und? Wahrscheinlich können sich die anderen Länder einfach keine Football-, Basketball- und Baseballligen leisten.“

Frank Foer sieht die Trennlinie zwischen Fußballfans und Fußballablehnern in den USA identisch mit der zwischen globalisierungsfreundlichen Kosmopoliten und den ledernackigen Exzeptionalisten, die meinen, die USA spielen eine historische Sonderrolle und brauchen sich um den Rest der Welt nicht zu scheren. Fußballhasser wählen Bush, Fußballfans würden ihn lieber heute als morgen aus dem Weißen Haus jagen.

Damit sind selbstverständlich nicht Immigranten gemeint, die ihre Fußballliebe aus Lateinamerika mitgebracht haben und weiterhin ihren lateinamerikanischen Teams und Ligen treu bleiben. Der amerikanische Fan ist häufig wie Foer eines jener Kinder, die in den 80er-Jahren mit Lederhelm Kopfbälle üben musste – und ein gut verdienender europhiler Snob. Wenn WM ist oder Champions League, geht er etwa in die Espresso Bar L’Angolos in Downtown Manhattan, schlürft einen Barolo und schwärmt dazu genießerisch mit Gleichgesinnten von den Qualitäten eines Luca Toni.

Ins Meadowlands Stadion, keine 15 Kilometer westlich, wo Red Bull New York in der US-Liga MLS spielen, verirrt man sich hingegen selten. „In den Meadowlands“, erzählt der New-York-Times-Reporter George Vecsey, ein Kenner des Euro-Fußballs, „sitzen 15.000 Gestalten in einem 80.000-Mann-Football-Stadion, und das Spiel ist langsam und einfallslos. Das ist nicht sehr spektakulär.“

Die MLS-Klubs haben immer noch oft keine eigenen Stadien, begrenzte Budgets und nur wenige Stars wie etwa Landon Donovan, den Spielmacher des US-Teams, der freilich frustriert und gescheitert aus der Bundesliga zur Los Angeles Galaxy heimkehren musste. Die Liga lockt gerade einmal 16,000 Zuschauer pro Spiel.

Der Fußball in den USA führt ein Zwitterdasein. Die Aktivenzahlen sind beeindruckend, das Leistungsniveau der Spitzenspieler, die zumeist in Europa spielen, ist respektabel, aber der Mainstream interessiert sich nicht dafür. Die Fangemeinde besteht aus für die Vermarkter uninteressanten hispanischen Einwanderern und aus Gourmands, die die Spezialität Euro-Fußball dem amerikanischen Billigbrei MLS vorziehen.

Daran würde auch ein erneuter WM-Erfolg des US-Teams kaum etwas ändern. „Wer kann sich hier denn heute noch an das Viertelfinale von 2002 erinnern“, fragt George Vecsey. Ein anhaltendes Interesse an Fußball in der breiten Öffentlichkeit wird es in der Heimat nur in dem unwahrscheinlichen Fall geben, dass die USA das Turnier gewinnen. „Die USA ist ein Big-Ticket-Land. Hier wird immer erwartet, dass wir bei allem die Besten sind“, sagt Vecsey.

Den Globalisten, die derzeit bei Angolos oder in der bayerisch inspirierten Gartenwirtschaft „Zum Schneider“ im East Village in New York zusammensitzen, ist es unterdessen weitgehend wurscht, ob die USA heute gegen Ghana das Achtelfinale erreichen oder nicht. Sie geraten zwischen zwei Schlucken ihres Rosso oder ihres Hefeweizens in Verzückung, wenn Traumpässe geschlagen werden – gleich, ob sie David Beckham, Ronaldinho, Michael Ballack schlägt. Oder Landon Donovan.

Aber immerhin – in den amerikanischen Großstädten macht sich derzeit zumindest leicht erhöhte Temperatur bemerkbar. In den Stadtparks wird zwischen den Basketball-Courts vermehrt gekickt – die Spieler demonstrieren in Nationaltrikots von Brasilien bis hin zu Serbien-Montenegro ihre Anhängerschaft. In der prachtvollen Art-déco-Halle des Grand Central Terminal bleiben am Vormittag die Pendler vor der Großleinwand stehen, um sich die WM-Übertragungen aus Deutschland zu betrachten. In Cafés rund um die Columbia University übertrumpfen sich Akademiker mit ihrem Wissen um Fußball. Man sucht Anschluss an die Welt. Zumindest in New York. In Idaho ist das gewiss anders.