Schnupftabak im Mönchsgewand

Insignie adlig-manierierten Lebensstils: Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert rund 1.000 Porzellan-Exponate, neu sortiert und größtenteils in Meissen gefertigt. Ein Panorama der Bizarrerien des Rokoko

von PETRA SCHELLEN

Sie sieht aus wie fein gefaltetes Papier. Doch sie besteht aus Porzellan, die 1765 geschaffene Kleinskulptur des chinesischen Kaisers, der mit mehreren Bediensteten auf einem kleinen Sockel sitzt, um Adligen als Tafeldekor zu dienen. Strahlend weiß sind Teppich und Kleidung gearbeitet; der Realitätsgehalt der Szene bleibt vage. Darauf kam es dem Höchster Porzellanmaler Johann Peter Melchior aber auch gar nicht an: Der China-Mode des Rokoko sollten Themen und Formen jenes Materials entsprechen, dessen Machart die Europäer 1709 ergründeten – 1.200 Jahre nach den Chinesen – und welches das bis dato genutzte Porzellan-Imitat Fayence verdrängte.

Über 1.000 Porzellan-Exponate hat das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe in seiner jüngst neu gestalteten Fayence- und Porzellanabteilung ausgebreitet – und wenn man auch den Geschmack der höfischen Gesellschaften um 1750 nicht in Gänze teilt, bleibt sie doch unumstritten, die künstlerische Qualität der Exponate, deren Großteil aus Meissen stammt, der ersten deutschen Porzellanmanufaktur. August der Starke hatte sie gegründet – jener Herrscher, der sich selbst für „porzellankrank“ hielt und etliche Ostasiatika gesammelt hatte. Kaolin hieß der wichtigste, in Europa erst spät entdeckte Rohstoff, den es unter anderem in Sachsen gab. Meissner Produkte bestehen noch heute zu 50 Prozent aus der weißen Tonsubstanz.

Die Gründung einheimischer Manufakturen in Europa ergab im Übrigen durchaus Sinn: Zu teuer war und blieb das chinesische Porzellan, das zunächst nur zögerlich exportiert wurde. Meissen wiederum achtete strikt auf die Wahrung seines Monopols: Strenge Strafen standen auf den Verrat der Porzellan-Rezeptur. Auch das Verlassen des Betriebsgeländes war nicht erlaubt. In einer Art Haft verbrachten also die besten Porzellan-Modelleure und -maler einen Großteil ihres Lebens. Nur einer – Samuel Stölzel, um 1720 in der Hoffnung auf bessere Entlohnung zur Manufaktur du Paquier in Wien ausgebrochen, konnte sich retten: Den Wiener Porzellanmaler Johann Gregorius Höroldt brachte er, um sich zu retten, mit zurück – jenen, der den Meissnern neue Farbtechniken vermittelte und der Produktion deutlichen Auftrieb verlieh.

Andere – etwa Franz Anton Bustelli – imitierten Schauspieler-Figuren der italienischen Commedia dell‘Arte. Die Sehnsucht des in Konventionen eingezwängten Adels nach freierem Umgang miteinander spiegelte sich in solchem Tafeldekor – und in entsprechenden Festen. Sehr beliebt zum Beispiel: die „Bauernhochzeit“, eine Art Karneval der anderen Art für Adlige.

Im Übrigen galt künstlerischer Individualismus wenig bei de Bemalung etwa jener üppigen Tafelgeschirre, von denen allein Friedrich II. 20 Stück herstellen ließ – unter anderem für Schloss Sanssouci. Denn letztlich wünschten die Manufakturen ein einheitliches Erscheinungsbild ihrer Waren.

Und doch lässt sich der Wandel vom verspielten Rokoko zum strengen, an antiken Formen orientierten Klassizismus auch anhand des Porzellans ablesen: Schlicht und – dem sich wandelnden Zeitgeist entsprechend – empfindsam wirken die gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Figuren, die nicht mehr den Adel, sondern auch das Bürgertum ansprachen und das individuelle Gefühlsleben betonten. Und wenn man bedenkt, dass die noch kleineren Tafelzier-Figürchen – einst aus Zucker oder Wachs gefertigt – jetzt aus Porzellan hergestellt wurden, konnte man fast von einer Kunst für die Ewigkeit sprechen, wenn auch aus heutiger Sicht teils recht bizarr: Als Spargel oder Wickelkind, auch als bestrumpftes Frauenbein kamen jene winzigen „Galanteriewaren“ – Verehrungs- oder Dankgeschenke – daher, die als Schnupftabakdosen oder Nadelbüchsen dienten. Besonders beliebt: der Bettelmönch mit „Vorrat fürs Kloster“. Neben einer Gans und einem Ährenbündel hat er auch ein Mädchen vom Markt mitgebracht.

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Hamburg. Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; www.mkg-hamburg.de