In Pop und um Pop herum

Nach seinen Latin-Bearbeitungen der Klassiker von Kraftwerk dreht Uwe Schmitt alias Señor Coconut für sein neues Album „Yellow Fever“ den Technopop des Yellow Magic Orchestra durch die Mangel

VON JULIAN WEBER

„Mein musikalischer Ansatz ist vergleichbar mit dem der Osmose“, sagt Uwe Schmidt. „Ich kann gar nicht genug Musik hören und sauge sie auf wie ein Schwamm.“ Mit seinem neuen Album „Yellow Fever“ widmet sich Schmidt als Señor Coconut dem Oeuvre des japanischen Technopoptrios Yellow Magic Orchestra (YMO).

Schmidt hat immer schon kreishafte Bewegungen mit seiner Musik vollführt, nun aber hat er mit seiner raffinierten Bricolage-Technik einmal den Planeten Pop umrundet. Auch YMO haben zu Anfang ihrer Karriere zitiert, beim so genannten Exotica-Sound. Exotica, das musikalische Fake-Refugium aus der Hochzeit des Kalten Kriegs, erfuhr Ende der Siebziger ein erstes Revival. Seinerzeit ließen sich die Japaner, aber auch amerikanische Industrialmusic-Protagonisten von den neoprimitiven Hi-Fi-klängen des amerikanischen Bandleaders Martin Denny inspirieren.

Schmidt, der in der EBM/Postindustrial-Szene seiner Heimatstadt Frankfurt verwurzelt ist, erregte Anfang der Neunziger mit Technoplatten unter dem Namen Atomheart erstmals Aufsehen. Andererseits hat er sich immer schon um die Aneignung von Fremdmaterial und um das Zitieren als kreatives Stilmittel verdient gemacht. Sein Album „Pop Artificielle“, unter dem Pseudonym l/b veröffentlicht, ist ein Meilenstein. „Die Figur des Señor Coconut entsprang einer Fiebervision. Beim Aufwachen hatte ich plötzlich diesen musikalisch klingenden Namen. Mein Lebensgefühl ist generell ein musikalisches. Das Alter Ego produziert eben ein bestimmtes Bild, so wie eine Note ein bestimmtes Gefühl hervorbringt.“ Ungewöhnlich genug, dass die scheuen YMO-Mitglieder das „Yellow Fever“-Projekt gutheißen, spielen sie als Gäste auch bei den Coverversionen ihrer Songs mit. Der Señor latinisiert einstmals elektronisch eingespielte YMO-Evergreens wie „Firecracker“, unterlegt ihnen andere Rhythmen und ersetzt die Synthesizerschlaufen durch Bläsersätze und Samples.

„Beim Auseinandernehmen des Materials entstehen meine eigenen Ideen, wobei es nicht so sehr um eine gedachte Referenz geht, im Prinzip verfolge ich damit die Improvisation.“ „Yellow Fever“ klingt genauso wenig authentisch latinesk, wie sich die Musik von YMO auf japanische Referenzen beschränkt. YMO hatten in den späten Siebzigern die Exotica von Martin Denny mit elektronischen Instrumenten verfremdet. Nun führt Señor Coconut ihre Coverversionen wieder zurück, allerdings an eine andere Stelle im musikalischen Kosmos, nicht an ihren Ursprungsort. „Was mich an der lateinamerikanischen Musik fasziniert, ist, dass sie auf bereits vorhandenen Strukturen improvisiert. Man nennt das Descarga. Das zu erlernen erforderte einen Bruch mit meinen eigenen Hörgewohnheiten.“

Schmidt sieht sich als virtueller Bandleader. Vom Laptop aus dirigiert er die analogen Instrumente seiner Mitmusiker, wirft Samples zwischen die Basictracks und bearbeitet die Live-Einsprengsel und Gast-Soundfiles mit Effekten. Diese Methode nennt er „hypereklektisch“. Vor neun Jahren hat Schmidt seine Zelte in Frankfurt abgebrochen und ist aus freien Stücken ins südamerikanische Exil nach Santiago de Chile gegangen. Damals sei er in eine Zeitmaschine geraten und habe die Technoeuphorie aus dem Frankfurt der frühen Neunziger noch einmal aus chilenischer Sicht neu erlebt. „Ich musste feststellen, dass man über eine Distanz zur Heimat keine neue findet und die alte definitiv verliert.“ In seinem hypereklektischen Postindustrial-Latin-Fever hat er ein vorübergehendes Zuhause gefunden.

Señor Coconut „Yellow Fever“ (Essay Recordings)