Verpasst?
: Doping fürs Volk

„Die rollende Apotheke“, Mi., 23.15 Uhr, ARD

Verwackelte Polizeiaufnahmen von Verhaftungen, dazu dramatische Musik wie bei „Law and Order“. Hier geht es um etwas ganz Schlimmes, das wissen wir schon nach Sekunden von Hagen Boßdorfs ARD-Dokumentation über Doping im Radsport mit dem eindeutigen Untertitel „Die rollende Apotheke“. Und dann kommt Jan Ullrich ins Bild.

Das deutsche Rad-Idol, dem Boßdorf dabei geholfen hat, seine Autobiografie zu ganzen Sätzen zusammenzustricken, verheddert sich bei einer Pressekonferenz im Frühjahr diesen Jahres und gibt schließlich unfreiwillig zu, dass er wegen der Dopinganschuldigungen gegen ihn aus der Italienrundfahrt ausgestiegen sei. Wiederum nur zwei Schnitte weiter erklärt ein investigativer Reporter von der spanischen Tageszeitung El País, dass der Zusammenhang zwischen Ullrich und einem Dopingdealerring in Madrid eindeutig belegt sei.

Hagen Boßdorf und sein ARD-Kollege Ulli Fritz, beide seit vielen Jahren als Reporter integraler Bestandteil des Wanderzirkus Profiradsport, haben sich bemüht, so schnell wie möglich so viel Distanz wie möglich zwischen sich und die Szene zu bringen, der sie nach Ansicht einiger Kollegen über die Jahre viel zu nahe gekommen sind. Vor allem Boßdorf wird vorgeworfen, aus dem Blick verloren zu haben, was ansonsten für alle Welt doch so offenkundig ist – dass sich im Radsport hartnäckig eine Kultur des Betrugs hält, resistent sogar gegen Verhaftungen und Anklagen. Zuletzt hatte sich der Berliner ARD-Reporter Hajo Seppelt beklagt, die ARD habe sich unter Boßdorf vom kritischen Sportjournalismus verabschiedet. Seppelt wurde kürzlich innerhalb der ARD strafversetzt, aber die Kritik muss gesessen haben. Boßdorf wollte mit seinem Film zeigen, dass er auch unangenehme Fragen stellen kann.

Überzeugend war das trotz des finsteren Einstiegs letztlich aber doch nicht. Während Boßdorf eine gute Stunde lang alle hinreichend bekannten Fakten zum Thema Doping im Radsport ausbreitet, wird das Bild immer unklarer. Zur Frage „Hat Ullrich oder hat er nicht“ scheut sich Boßdorf letztlich dann doch vor einer These. Zum Radsport insgesamt ist seine Botschaft hingegen klar. Radfahren ist ein schöner Sport, gesund und spannend und charakterbildend für die Jugend. Diesen gesellschaftlich wertvollen Sport muss man vor dem bösen Gespenst des Medikamentenmissbrauchs retten.

Zynischere Beobachter sehen das anders. Für den US-Sportsoziologen John Hobermann etwa ist Doping tief in der Logik des Radsports verankert. Profi-Radrennen befriedigen für ihn vor allem die Spektakelgier einer Masse, die sich lustvoll an den absurden Belastungen für die Sportlerkörper ergötzt. Deshalb wäre Hobermann wohl auch nie auf die Idee gekommen, Radsportreporter zu werden. S. MOLL