Elektronische Bänder
: Freiheit durch die Fessel

Ein stark kurzsichtiger Mensch setzt seine Brille sofort auf, wenn er aus dem Bett steigt. Ohne sie würde er seine Umgebung nur schemenhaft erkennen. Muss ein Normalsichtiger dieselbe Brille tragen, wird er sie verfluchen: Er sieht verschwommen, bekommt Kopfschmerzen, vielleicht wird ihm übel. Auch wenn das Beispiel etwas hinkt: Genauso verhält es sich mit den elektronischen Armbändern, die Berliner Kliniken jetzt demenzkranken Patienten zu ihrem Schutz umschnallen sollen.

Kommentar von ULRICH SCHULTE

Die Erfindung machte als elektronische Fessel schon vor Jahren Furore, kriminalpolitische Hardliner wollen mit ihrer Hilfe überfüllte Knäste leeren. Doch mit staatlichen Überwachungsfantasien, sozialer Stigmatisierung und Kontrolle privaten Lebens hat die Diskussion in den Krankenhäusern nichts zu tun. Im Gegenteil. Was zu dem Zweck erfunden wurde, Freiheit zu beschneiden, würde Demenzkranken Freiheit ermöglichen. Immer unter der Voraussetzung, dass das elektronische Armband nur ein Notbehelf bleibt – und keinen einzigen Pfleger ersetzt.

Menschen, die zum Beispiel an Alzheimer leiden, laufen gerne und viel, sie verirren sich aber leicht. Deshalb bieten manche Betreuungsheime geschützte Wanderstrecken an. Auch wenn solche Lösungen in normalen Kliniken nicht zu verwirklichen sind: Vivantes und Co. tun gut daran, nach Möglichkeiten zu suchen, dramatische Einzelfälle wie die der vergangenen Woche zu verhindern. Die Krankenhausbauten sind oft veraltet, die PflegerInnen meist überlastet. Das elektronische Armband würde es erlauben, einem Verirrten trotz solcher Mängel schnell zu helfen. Und es verhindert, dass Pfleger im Sicherheitswahn zum letzten Mittel greifen: Patienten im Zimmer einschließen.

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