berliner szenen Im Osten was Neues

Wenn’s Liebe ist

Französische Fußballfans grölen an mir vorbei, als ich im Ernst-Thälmann-Park pausiere. Ich frage mich, ob ich die Einzige bin, die nicht vom WM-Fieber gepackt wurde. Ein Stückchen weiter dichtet ein junger Langhaariger jemandem etwas auf Russisch vor. Hört sich an wie auswendig gelernt. Alles reimt sich, und er versucht, sein Gegenüber mit energischen Gesten von seinen Worten zu überzeugen. Sieht aus, als probt er für einen Auftritt und lässt sich den Text abhören.

Ich verstehe nur Brocken. Von Prawda, der Wahrheit, ist die Rede. Die Prawda, das war zu Ostzeiten in gewissen Kreisen eine hoch angesehene Zeitung. Hier heute Russisch zu hören ist komisch und hat kaum was mit früher zu tun. Ebenso wenig die Atmosphäre im Park mit seinem neuen bunten Spielplatz, der nachts zur Obdachlosen-Schlafstätte wird. Früher hörte man hier oft die herrenlosen Hunde bellen, während sie sich um die Eingeweide rissen, die die Chirurgen aus der Nachtschicht in den Hof des Nordmark-Krankenhauses warfen. Wer am weitesten kam. Und Prost Wodka bis zur nächsten Runde. So erzählte man sich.

Getrunken wurde ja viel damals, besonders auch im Dienst jeglicher Art. Heute wird hier nicht mehr operiert. Stattdessen werden nur noch alte Leute gepflegt. Langsam wird es dunkel, und die Menschen im Park werden weniger. Ich bewege mich an meine Lieblingsstelle. Hier auf dem großen Platz vor der Eingangshalle des Planetariums direkt unter dem natürlichen, grenzenlosen Sternenhimmel genieße ich die Ruhe. Ein Geräusch holt mich ein. Ein Fußball und mit ihm die beiden Jungs von vorhin. Sie bleiben stehen. Sie küssen sich. Der Dichter sieht mich an und sagt: „Eto Lubow“ – „Es ist Liebe“. KATRIN RÖSLER