Luthers Erben wollen radikal umbauen

Die Evangelische Kirche Deutschlands hat ein Papier zum inhaltlichen und organisatorischen Umbau erarbeitet. Die Zahl der Landeskirchen soll halbiert werden. Dahinter steht die Angst, bald nur noch über die Hälfte der jetzigen Einnahmen zu verfügen

Das Papier ist voller Vokabeln von Beratern und Motivationstrainern

VON PHILIPP GESSLER

Harmlos als „Impulspapier“ kommt es daher – doch wenn es verwirklicht werden sollte, käme es einer Revolution in der Evangelischen Kirche Deutschlands gleich: Zwölf Frauen und Männer, „Perspektivkommission“ genannt, haben im Auftrag der EKD-Spitze ein Papier erarbeitet, das heute veröffentlicht wird. Es fordert nichts weniger als den radikalen Umbau der zweitgrößten Volkskirche im Lande Luthers.

Der Segen dazu kommt von fast ganz oben: Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, war Mitglied der Kommission und befürwortet mit Verve den Umbau an, biblisch gesprochen, Haupt und Gliedern der Kirche.

Das Diskussionspapier mit dem Namen „Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“ blickt weit in die Zukunft. Es entwirft auf 110 Seiten das Wunschbild der evangelischen Kirche im Jahr 2030 – und zeigt auf, wie diese Kirche vielleicht erreicht werden könnte. Gespickt ist der Text mit dem Vokabular von Unternehmensberatern und Motivationstrainern („Kompetenzzentren“, „Investieren in zukunftsverheißende Arbeitsgebiete“, „Aufwärtsagenda“, „balanced scorecard“, „Qualitätsmanagement“, „good/bad practice“, „angestrebter Mentalitätswandel“), garniert mit passenden Bibelzitaten, etwa vom „Licht der Welt“ (Lukas, 11, 33). Eine theologische Streitschrift ist das Papier jedoch nicht, sondern vor allem eine schonungslose Analyse der Lage und voraussichtlichen Zukunft der EKD – und beides ist einigermaßen trist:

„Wenn die heute erkennbaren Trends einfach fortgeschrieben werden müssten, so würde nach manchen Einschätzungen die evangelische Kirche im Jahr 2030 ein Drittel weniger Kirchenmitglieder und nur noch die Hälfte der heutigen Finanzkraft haben“, schreibt Bischof Huber schon im Vorwort.

In Zahlen ausgedrückt: Von derzeit etwa 26 Millionen evangelischen Christinnen und Christen blieben in knapp 25 Jahren nur noch 17 Millionen übrig – manche Landeskirche hätte dann weniger als die Hälfte ihrer jetzigen Mitglieder. Das Durchschnittsalter stiege auf 50 Jahre, heute sind es noch 44 Jahre. Derzeit nimmt die EKD jährlich 4 Milliarden Euro durch Kirchensteuer und vergleichbare Abgaben von Arbeitslosen und Rentnern ein. Im Jahr 2030 wären es nur noch etwa 2 Milliarden, gerechnet am heutigen Geldwert.

Was tun? Die Perspektivkommission empfiehlt, in die Offensive zu gehen, einerseits durch inhaltliche, andererseits durch strukturelle Neuerungen: Das „evangelische Profil“ soll gestärkt werden, etwa mit der Forderung, die Mission zu verstärken oder „das diakonische Handeln mehr mit katechetischen Elementen zu verbinden“ – nach dem Motto: Tut Gutes, aber redet dabei auch von Gott. Manches bleibt dabei schwammig, einiges scheint bewusst unklar ausgedrückt zu sein. So beispielsweise die Aussage: „Die Aufgabe, Frieden zu sichern und zu fördern, wird neue Formen annehmen.“

Am brisantesten aber dürfte eine strukturelle Veränderung sein, die die Kommission empfiehlt: Im Jahr 2030 soll es nur noch zwischen acht und zwölf Landeskirchen in Deutschland geben – derzeit sind es 23. Dazu gehören Kleinstkirchen wie die Landeskirche von Anhalt, der zur Zeit nur noch 55.000 Gläubige angehören. Wer jedoch erlebt, welche jahrelangen Anstrengungen es bedurfte, allein die Kirche von Berlin-Brandenburg mit der von der schlesischen Oberlausitz zu vereinigen, weiß, was auf die EKD zukommt: ein gar nicht so brüderliches Hauen und Stechen.

So ist denn das Diskussionspapier erst einmal als Impuls gedacht, der dann doch von den vielen Gremien der basisdemokratisch verfassten EKD nach und nach besprochen und beschlossen werden soll.

Der Text wird als nächstes im großen Rahmen auf einem „Zukunftskongress“ der EKD Ende Januar kommenden Jahres in Wittenberg diskutiert. In einer dort zu erarbeitenden „Aufwärtsagenda“ sollen die Kernpunkte enthalten sein, „auf deren Grundlage der deutsche Protestantismus die Dekade bis zum Lutherjubiläum 2017 mit frischen Impulsen gestalten wird“, wie Huber schreibt. Der Weg, den die evangelische Kirche gehen muss, ist also noch lang

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