California dreaming?

Nach dem Aus im Halbfinale: Jürgen Klinsmann muss Bundestrainer bleiben, um die Nachhaltigkeit seiner Modernisierung des deutschen Fußballs sicherzustellen

KOMMENTAR VON MARKUS VÖLKER

Gibt es eigentlich noch jemanden zwischen München und Hamburg, der Jürgen Klinsmann dorthin schicken will, wo der Pfeffer wächst? Der Mann, der vor Wochen noch auf den Mond oder am besten gleich in ferne Galaxien gewünscht wurde, ist, so scheint’s, unverzichtbar in deutschen Rundlederwelten. Großkritiker und Edelgurus bitten ihn um eine Vertragsverlängerung. Sein Jawort wird mit dem Schicksal des Landes verknüpft. Der Kaiser lockt ihn. Die Kanzlerin umgarnt ihn. Und auch der Bundespräsident hat in ihm den Retter der Nation erkannt. Fehlt nur noch, dass die Bild-Zeitung auf die Knie fällt und in dicken Lettern druckt: „Bitte, Bundes-Klinsi, bleib!“

Jürgen Klinsmann lässt sich in der Tat bitten. Doch insgeheim hat er längst eine Entscheidung gefällt, die wohl sogar ein finaler Sieg nicht umgestoßen hätte. Offiziell sagt er: „Ich weiß es wirklich noch nicht, und ich verschwende daran im Moment auch überhaupt keinen Gedanken. Nach so einem Turnier muss man erst mal in sich gehen und alles sacken lassen.“ Und weiter: Es sei viel passiert in den letzten zwei Jahren, da müsse man erst einmal durchschnaufen. Er, Klinsmann, habe zwei Jahre lang die volle Energie reingelegt und an nichts anderes gedacht als den Finaleinzug. Von wegen. Der Masterplaner will nicht in die Zukunft über den 9. Juli geblickt haben?

Wie die Entscheidung auch immer ausfallen mag, die zentrale Frage lautet: Was wird aus Klinsmanns Reformprojekt? Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten:

1. Jürgen Klinsmann unterschreibt einen neuen Vertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und gewinnt zusätzliche Macht. Die erfolgreich verlaufene WM verschafft ihm deutlich mehr Hausmacht im Verband. Der Bundestrainer darf nicht mehr nur in der Nationalmannschaft schalten und walten, sondern auch vermehrt im gesamten Fußballbund. Das DFB-Präsidium würde geschwächt werden. Die Riege der Reformer gewänne die Oberhand. Klinsmann könnte fortan seine Favoriten platzieren, etwa den Hockeytrainer Bernhard Peters, den das DFB-Präsidium abgelehnt hatte und stattdessen Matthias Sammer als Sportdirektor berief. Die Reform würde endgültig vom Klinsmann-Circle auf den Großverband übergreifen. Die Jugendarbeit könnte reibungslos organisiert werden, von der U15 bis zur Elite. Klinsmann würde für Nachhaltigkeit sorgen.

2. Klinsmann verabschiedet sich nach der Weltmeisterschaft nach Kalifornien und löst das Versprechen ein, für die Familie da zu sein. Seine „Philosophie“ legt er in die Hände von Manager Oliver Bierhoff, der die führende Rolle in der Suche nach einem neuen Cheftrainer übernimmt. Womöglich muss er nicht in die Ferne schweifen, weil das Gute so nah liegt: in Joachim Löw, dem aktuellen Assistenztrainer. Der Einfluss der Klinsmann-Erben bliebe überwiegend aufs Nationalteam beschränkt. Sie müssten weiterhin mit Störfeuer aus dem Lager des DFB rechnen. Ob der Weg Klinsmanns weiter konsequent beschritten wird, hängt vom neuen Coach ab und dessen Exegese der Klinsmann’schen Philosophie. Der Ausgang dieses Experiments scheint offen. Es könnte zu einer Konsolidierung führen, aber auch zu einem Rückfall.

3. Jürgen Klinsmann zeigt wenig Interesse an der Fortführung seines zweijährigen Werkes. Oliver Bierhoff verliert die Kontrolle. Und auch Joachim Löw tritt zurück. Der Kreis fällt auseinander. Die Altfunktionäre im DFB gewinnen wieder Einfluss auf die Nationalmannschaft, auch wenn Präsident Theo Zwanziger derzeit verspricht, dass die Reform fortgeführt werden müsse und die Bundesliga von der DFB-Auswahl nur lernen könne. Der neue Trainer wird vom DFB berufen: ein Vertreter der alten Schule. Klinsmanns Biennale verkäme zum Intermezzo. Diese Variante ist freilich am unwahrscheinlichsten.

Der Weg für Klinsmann ist jetzt also frei. Er hat es einfacher als je zuvor. Er könnte mit dem DFB einen Vertrag nach seinem Gusto aushandeln. Der Gestaltungsspielraum scheint unbegrenzt. Er müsste sich auch nicht mehr rechtfertigen. Über seinen Wohnort würde nicht mehr diskutiert werden und der Einsatz von Gummibändern nicht mehr belächelt. Deutschland hat verstanden: Der Mann weiß, was er tut. Es liegt an Klinsmann, Verantwortung zu übernehmen und ein Projekt zu Ende zu führen, das erst auf halber Strecke ist.