Abschiebung mit Schultasche

Immer wieder werden langjährig Geduldete beim Besuch der Ausländerbehörde festgenommen und kommen in Abschiebehaft. Wegen Freiheitsberaubung stellen Flüchtlingsanwälte nun Strafantrag

VON KAI VON APPEN

Daniela Hödl und Mark Nerlinger haben die Faxen dicke. Obwohl der Hamburger Ausländerbehörde die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts zu Ad-hoc-Ingewahrsamnahmen zwecks Abschiebung bekannt sein sollte, hält sie an ihrer Praxis fest: Immer wieder werden langjährig geduldete Flüchtlinge ohne Vorwarnung beim Behördenbesuch festgenommen und in Abschiebehaft gesteckt. Die beiden Juristen haben nun gegen Sachbearbeiter und der Leitung der Ausländerbehörde Strafantrag wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung gestellt.

Achadi Famo (Name geändert), 25, ahnt nichts Böses, als er die Ausländerbehörde aufsucht, um seine Duldung verlängern zu lassen. Doch statt des erwarteten Stempels klicken die die Handschellen. Tags darauf beim Haftrichter für Abschiebehaft erklärt die Ausländerbehörde, für den Liberianer liege eine Übernahmeerklärung aus Togo vor, wohin er abgeschoben werden solle. Trotz dieser angeblichen Übernahmeerklärung lässt das Land Famo aber nicht einreisen. Sieben Tage später findet er sich in Benin wieder – mit seiner Schultasche als einzigem Reisegepäck. Denn eigentlich wollte er nach dem Gang zur Ausländerbehörde in die Berufsschule.

Für Hödl und Nerlinger kein Einzelfall: Allein vier ihrer Mandanten, die im vorigen Jahr zu der dubiosen Guinea-Delegation vorgeladen worden waren (taz berichtete), erging es seit Februar ähnlich. „Wir gehen aber davon aus, dass es wesentlich mehr Fälle gibt“, sagen die Anwälte. Und das vor dem Hintergrund, dass das Verwaltungsgericht ein derartiges Vorgehen im Dezember 2005 in zwei Fällen für rechtswidrig erklärte. Nach Auffassung der Richter ist eine Ingewahrsamnahme nur dann zulässig, wenn diese Maßnahme „unerlässlich“ sei, um eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern – etwa, indem sich der Ausländer einer drohende Abschiebung durch Flucht entzieht.

Doch Hödls und Nerlingers Mandanten waren stets zu den Vorsprechterminen der Behörde erschienen, teilweise sogar mit noch gültigen Duldungspapieren. „Wir haben den Eindruck, dass es sich um bewusste Rechtsverletzungen im Interesse einer schnellen und reibungslosen Abschiebung handelt“, sagen die beiden Juristen. „Da die Betroffenen sofort festgenommen werden, sind die Möglichkeiten eines effektiven Rechtsschutzes stark eingeschränkt und oft praktisch unmöglich.“ Häufig würden die Betroffenen bei der rechtlichen Anhörung vor dem Haftrichter mit neuen Fakten konfrontiert, weil die Behörde die Abschiebung intransparent vorbereitet habe. „Die Leute wissen nicht einmal, in welches Land sie abgeschoben werden sollen“, sagt Hödl. So komme es schnell zu einer „Beweislastumkehrung“ – nicht mehr die Behörde ist in der Beweispflicht, was das Herkunftsland angeht, sondern der Betroffene muss im Gegenteil belegen, dass er nicht aus einer möglichen Abschiebedestination stammt.

In einem Fall gelang es Nerlinger, eine Abschiebung durch das Verwaltungsgericht stoppen zu lassen. Obwohl sein Mandant immer angegeben habe, er komme aus Burkina Faso, hatte die Ausländerbehörde ihn ohne Vorwarnung festgesetzt und in Abschiebehaft gesteckt. Dabei hatte sie vor dem Haftrichter behauptet, es gebe Indizien dafür, dass der Mann aus Benin käme; eine Aufnahmeerklärung von dort liege vor. „Die Vorgeschichte hat den Haftrichter gar nicht interessiert“, berichtet Nerlinger. Weil sich das Ganze über das Wochenende abspielte, konnte Nerlinger eine Einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht erwirken. Und auch das Landgericht erklärte den Haftbefehl später für rechtswidrig.

Hödl und Nerlinger sind zuversichtlich, dass ihr Strafantrag erfolgreich ist. Zwar hatte es 2003 bereits einen solchen Vorstoß gegeben, den die Staatsanwaltschaft mit der Begründung einstellte, es gebe auch Stimmen, die eine solche Praxis für legal halten. Dass derartige Vorgänge aber im neuen Zuwanderungsgesetz ausdrücklich geregelt werden sollen, ist für die Juristen ein Indiz dafür, dass die Praxis jeglicher Gesetzesgrundlage entbehrt. „Es ist ja faktisch eine behördeneigene vorweggenommene Abschiebehaft“, so Hödl – „vom Menschlichen ganz abgesehen, dass jemand nach achtjähriger Duldung noch seine Sachen packen möchte.“

Die Ausländerbehörde zeigt sich unbeirrt. „Wir sehen den Ermittlungen mit Gelassenheit entgegen“, beschwichtigt Sprecher Norbert Smekal. „Es gibt keine generelle Rechtssprechung, was Ingewahrsamnahmen anbetrifft.“ Die jüngsten Urteile seien „Einzelfallentscheidungen“, ergänzt er, „und sind nicht auf jeden anderen Fall übertragbar.“